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Mittwoch, 31. Mai 2023

Böses Glück, Tove Ditlevsen

Endlich liegen einige von Tove Ditlevsens Kurzgeschichten erstmals in deutscher Übersetzung vor! Die englische Version hatte ich bereits hier vorgestellt (The Trouble with Happiness), in der phantastischen Übersetzung von Ursel Allenstein fließt der Text aber noch ein bisschen schöner.

Die Geschichten wurden im dänischen Original erstmals 1952 und 1963 veröffentlicht, spiegeln also auch den Zeitgeist dieser Jahre wieder. Liest man die zumeist aus weiblicher Perspektive geschriebenen Erzählungen, wird deutlich, dass ein Frauenleben damals ohne die Ehe nicht vollständig sein konnte. Wert und Selbstwert der Frau wurden an ihren Heiratschancen gemessen. Auch wirtschaftlich war ein Auskommen außerhalb des elterlichen Hauses ohne Mann kaum denkbar. Auch war jede Frau ganz selbstverständlich mit der Erwartung konfrontiert Kinder zu bekommen.

Welch hohen Preis die Frauen für die Heirat und Absicherung zu bezahlen hatten, wird in den Geschichten augenfällig. Denn auch wenn eine Ehe unglücklich war, der Mann trank und gewalttätig war, war das kein Trennungsgrund. Auch das lag im Bereich des Normalen, so scheint es. Frauen hatten keine hohen Erwartungen an ein erfülltes Leben zu stellen. Sie hatten froh zu sein, wenn einer sie zur Frau nahm.

Besonders auffällig wird dies in der Geschichte „Der Regenschirm“. Das Eheleben ist eintönig und langweilig, die erste Verliebtheit verflogen, die eheliche Wohnung praktisch eingerichtet, aber das Geld knapp. (Ditlevsens Geschichten spielen in der Regel im Arbeitermilieu.) Da Helga als Kind einmal eine elegante Dame mit einem Regenschirm gesehen hatte, wurde diese Luxusgegenstand zum Inbegriff ihrer Träume von einem schönen Leben. Hätte sie nur auch so ein Ding, wäre das Leben elegant und glamourös! Sie schafft es tatsächlich, sich einen Schirm zusammenzusparen. Doch das Ende lässt sich erahnen: Er hat nicht den gewünschten Effekt.

„Ich sah ihn nicht an, als ich mich verabschiedete. Ich fragte nicht, mit wem er sich verlobt hatte. Ich wusste, dass er sie nie zu uns nach Hause einladen könnte. Diese Familie eignete sich nicht dazu, neue Mitglieder aufzunehmen.

Drei Tage nach dem Tod meiner Tante zog ich in ein Zimmer zur Untermiete. Meine Mutter war zu sehr am Boden zerstört, um es wirklich zu verstehen. Ich nutzte ihren Zustand aus, um ihr zu erzählen, dass ich bald heiraten würde. Da sagte sie etwas Merkwürdiges. ‚Es ist egal, wen man heiratet.‘ Ich habe nie verstanden, was sie damit meinte.“ (aus „Böses Glück“, S. 171)

Ein weiteres Merkmal der Ehe in den 50er Jahren scheint außer der Ärmlichkeit des Lebens auch zu sein, dass Mann und Frau nicht miteinander über Herzensdinge reden. So beleuchtet die Story „Meine Frau tanzt nicht“ den inneren Monolog einer Ehefrau, die nicht wagt, über ihre körperliche Behinderung mit ihrem Man zu sprechen, obwohl diese für jeden ersichtlich ist. Die Scham ist zu groß. Dennoch macht sie sich stundenlang Gedanken darüber, wie ihr Mann wohl in Wahrheit darüber denken mag und was dieser Makel mit ihrem Wert als Ehefrau macht. Dabei wird eine so große innere Distanz des Paares offenbar, dass einem kalt wird.

Auch die Rolle der Kinder in einer Familie wird angesprochen. Dabei könnte man zuweilen glauben, Kinder seien Manövriermasse wie Möbelstücke. Was geschieht mit ihnen im Falle der Trennung? Wer kommt für sie auf, wenn der Ehemann sich eine Neue sucht? Sind sie manchmal nur der Blitzableiter für die Launen des Vaters?

Die besondere Stärke der Geschichten ist ihre menschliche Authentizität. Man fühlt die gesellschaftliche  Atmosphäre der Nachkriegsjahre, die Sehnsucht nach ein bisschen Glück und Glanz im von harter Arbeit geprägten Leben. Dabei werden ganz alltägliche Begebenheiten geschildert, die jede von uns erlebt haben könnte, eine Trennung, ein Hauskauf, ein mitgehörtes Telefonat oder Gespräch. Zumeist bleibt das Augenmerk auf der weiblichen Lebenswirklichkeit, indem auch Themen wie Fehlgeburt und Abtreibung als Teil des Alltags von Frauen geschildert werden. Tove Ditlevsen macht diese Stimmungen erlebbar, indem sie gerade die Gedanken oder scheinbar belanglosen Sätze des Alltags aufschreibt, über die wir uns oft keine Gedanken machen.

Tove Ditlevsens Kurzgeschichten sind vom gleichen hohen literarischen Wert wie ihre Romane. Mit wenigen Worten schildert sie durch Alltagsbegebenheiten die Stimmung einer ganzen Generation, die bis heute in unserer Gesellschaft nachwirkt. Sie stellt das Erleben von Frauen in den Mittelpunkt, wie es zu ihrer Zeit in dieser realistischen Art und Weise wohl kaum jemand getan hat. Unbedingt lesen!

Böses Glück, Tove Ditlevsen, aus dem Dänischen übersetzt von Ursel Allenstein, Aufbau Verlag, Berlin, 2023, 176 Seiten, 20,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)

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Zusatzinfo:

Weitere Rezensionen zu Titeln von Tove Ditlevnsen findet Ihr hier: 

Kindheit

Jugend

Abhängigkeit

Gesichter

Wilhelms Zimmer

Straße der KIndheit

Als Anneliese dreizehn war...

Samstag, 10. Dezember 2022

Prosaische Passionen, Sandra Kegel (Hrsg.)

Vor hundert Jahren gab es noch nicht so viele schreibende Frauen – das hört frau immer wieder als Antwort auf die Frage, warum der Literaturkanon so männlich (und weiß) ausfällt. Das Auswahlkriterium sei selbstverständlich nur die literarische Qualität, nicht das Geschlecht oder die Herkunft. Wirklich?

Das vorliegende Buch ist eine wunderschön gestaltete Schatzkiste, die diese Behauptungen ad absurdum führt. Es versammelt 101 Geschichten, ausschließlich von Autorinnen der Moderne, also der Geburtsjahrgänge von ca. 1845 bis 1920, aus allen Teilen der Welt. Die Werke wurden aus 25 verschiedenen Sprachen übersetzt und liegen teilweise erstmals auf Deutsch vor. Wie viel aus dem Koreanischen, Persischen oder der Sprache Urdu übersetzte Prosa kennt Ihr? Wie viele Autorinnen vom afrikanischen Kontinent oder aus Neuseeland sind Euch geläufig? Eben. Aber es gibt sie – nicht erst seit gestern - und sie sind großartig!

Ein umfangreiches Nachwort der Herausgeberin Sandra Kegel ordnet die literarische Epoche der Moderne ein und informiert über die Lebens- und Arbeitsbedingungen schreibender Frauen in aller Welt. Kegel erklärt die Herangehensweise an die vorliegende Zusammenstellung, in der große, bekannte Namen wie Agatha Christie, Virginia Woolf oder Selma Lagerlöf neben in Deutschland völlig unbekannte Autorinnen wie Tekahionwake oder im Schatten von Männern stehenden Frauen wie Sofia Tolstaja (die Ehefrau von Lew Tolstoi) gestellt werden. Um tiefer eintauchen zu können, werden im Anhang die Lebensgeschichten aller enthaltenen Autorinnen dargestellt.

Die Kurzgeschichten in dieser Sammlung sind so unterschiedlich und vielfältig wie die Frauen der Welt es sind. Da gibt es z.B. „Eine ganz überflüssige Bekanntschaft“ (S. 5 ff), in der Sofia Tolstaja die Begegnung einer Dame mit einem Musiker beschreibt, der ihr ein ungeahnt intensives Hörerlebnis beschert.

Die Waliserin Kate Roberts erzählt in „Heimkehr“ (S. 388 ff) von einer Frau, die gleichzeitig alt und doch ein junges Mädchen, verstrickt in ihre Kindheitserinnerungen zu sein scheint, übersetzt aus dem Walisischen. Einerseits als altes Weiblein verspottet von Schuljungen, spricht sie andererseits mit ihren Eltern und zitiert walisische Kinderreime wie früher.

Besonders gefallen hat mir eine Kurzgeschichte von Marlen Haushofer mit dem Titel „I’ll Be Glad When You‘re Dead…“ (S. 763 ff). Es ist das Gespräch einer geschiedenen Ehefrau mit ihrer Freundin, von dem wir nur den Part der monologisierenden Ehefrau lesen, die sich Kognak trinkend den Abend versüßt, während sie der Freundin (und sich selbst) den Grund des Scheiterns ihrer Ehe erklärt.

„Du bist also weggefahren, und ein paar Monate später hab‘ ich gemerkt, dass etwas nicht in Ordnung war. Ja, sofort hab‘ ich’s gemerkt. Karl hat nämlich angefangen zu seufzen. Ja, zuerst hab‘ ich auch gelächelt, warum sollte ein Mann, der den ganzen Tag angestrengt arbeitet, am Abend nicht seufzen? Später hab‘ ich mich geärgert über die Seufzerei. Er hat es nicht einmal gemerkt, ist nur still in seinem Sessel gesessen und hat geseufzt.

Was? Wie oft, ich hab‘ es nicht gezählt, findest du das so wichtig? Vielleicht durchschnittlich jeden Abend drei-, viermal. Das ist schon möglich, dass dein erster Mann mindestens zehnmal geseufzt hat und dein jetziger es auch tut, das gehört doch nicht zur Sache. Es ist eben ein Unterschied, wer seufzt. Und wenn Karl drei-, viermal geseufzt hat, so hat das mehr zu bedeuten, als wenn einer deiner Männer hundertmal seufzt.“ (S. 767)

Eine völlig andere Weltsicht begegnet der Leserin in der Geschichte „Eine Heidin in St. Paul’s Cathedral“ (S. 53 ff), übersetzt aus dem Onondaga-Englisch, verfasst von der indigenen Kanadierin Tekahionwake. Sie wurde als Tochter eines Mohawk-Häuptlings und einer Engländerin in einem Reservat in Ontario geboren. Anlässlich ihres ersten Besuchs in der Hauptstadt der Kolonialmacht England schildert sie ihre Eindrücke der alten Welt. Den König von England bezeichnet sie als den „Großen Weißen Vater“, der „im Hohlraum seiner Hände den Frieden zwischen den einst miteinander verfeindeten Roten und Weißen bewahrt“, der in seinem „Wigwam“ lebt, „von den Bleichgesichtern Buckingham Palace genannt“ (S. 53). Sie betritt die Kathedrale und weiß, dass sie sich in einem fremden sakralen Raum befindet.

„Als ich durch seinen Eingang trat, war mir, als sei es die immerwährende Siedlungsstätte des Großen Geistes vom weißen Mann.

Musik nistete überall. Sie dröhnte mir in den Ohren wie die fernen Kadenzen der Sault-Ste.-Marie-Stromschnellen, die aufsteigen und emporspringen und hochbranden – wie ein Sturm, der Tannenwald durchtost -, wie das ferne Anschwellen eines indianischen Schlachtgesangs; (…)“ (S. 54)

Ich kann dieser Zusammenstellung mit meiner Rezension nicht annähernd gerecht werden. Jede einzelne Geschichte wäre der Erwähnung wert. Das Buch ist ein Geschenk, das seine Leserinnen und Leser lange Zeit erfreuen wird.

Dieses faszinierende Buch soll auf meinem Lesetisch noch lange liegen bleiben, so dass ich es immer wieder an anderer Stelle aufschlagen und etwas Neues entdecken kann. Viele, viele Männer und Frauen sollen sich an diesen schönen Worten und Geschichten erfreuen, von denen uns etliche so lange gefehlt haben, ohne dass wir es wussten. Und dann wollen wir noch eine und noch eine und noch eine solche schöne Sammlung mit verschütteten Perlen haben. Warum sollten wir auf so großartige Literatur weiterhin verzichten?

Prosaische Passionen – Die weibliche Moderne in 101 Short Storys, Sandra Kegel (Hrsg.), Manesse Verlag, München, 2022, 928 Seiten, 40,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)

Dienstag, 8. November 2022

Tee – Geschichten zum Entspannen, ausgewählt von Kati Hertzsch

Tee – ein belebendes Getränk für alle Lebenslagen, das Abgeschlagenheit und mangelnde Inspiration sofort kuriert. Für mich jedenfalls. Ich spiele schon mein Leben lang im Team Tee, Kaffee trinke ich nie. Langsam und feinsinnig setzt das bernsteinfarbene Getränk aus Blättern seine Energie frei anstatt mit Koffeinblitzen zu protzen wie sein Konkurrent aus Bohnen. Ebenso fein blättert die vorliegende Anthologie ihre Geschichten auf und nimmt uns mit in Situationen, in denen Tee getrunken wird.

Vor allem die erste Hälfte des Buches ist ein Sinnenschmaus, da Tee in den ersten Geschichten eine wirklich tragende Rolle spielt. In manchen späteren Geschichten kommt das Getränk manchmal nur am Rande vor. Schön sind die Erzählungen aber alle.

In „Nicht die Bohne“ (S. 9 ff) spricht Jan Brandt die verbreitete Schwierigkeit der deutschen Teetrinkerin an, in der Öffentlichkeit überhaupt an eine passable Tasse des Lieblingsgetränk zu kommen. Denn oft – Friesland einmal ausgenommen – gibt es dutzende Kaffeespezialitäten in deutschen Cafés und Gaststätten, aber nur ganz unten auf der Karte den kurzen Hinweis auf schwarzen Tee. Ja, um Himmels Willen, möchte frau ausrufen, WAS für schwarzer Tee?? Darjeeling, Assam oder Ceylon? Ist er aromatisiert wie ein Earl Grey oder ein astreiner First Flush? Und was ist mit grünem Tee? Als ob Tee ein Allerweltsgesöff wäre, bei dem die Sorten austauschbar wären.

Verstanden fühle ich mich auch von Jardine Libraire und Amanda Eyre Ward, welche die wahre Poesie des Tees auszudrücken wissen in „Imperial Dragonwell“:

„Hunderte von Hand beschriftete Teekisten in den Regalen – es war Verführung am helllichten Tag. Allein die Namen – Blackwood Ceylon, Heavenly Blue Peak, Himalayan Snowflake, Volcano Flower Burst – waren so was Ähnliches wie poetische kulinarische Pornographie. (…) Beim Tee geht es ums Zeremoniell und die feinen Nuancen. Es ist himmlisch, den Dampf einzuatmen, der aus der Tasse aufsteigt. (…) Wir lieben die gläsernen Teekannen, in denen man beobachten kann, wie ein hartes, getrocknetes Jasminkügelchen langsam im heißen Wasser aufblüht und dabei aussieht wie ein wildes Herz.“ (S. 21)

Abgesehen von der Beschreibung des Tees hat mich eine Kurzgeschichte von Katherine Mansfield am meisten in ihren Bann geschlagen, sie heißt „Psychologie“ (S. 117 ff). Den Inhalt muss ich leider für mich behalten, da sie sonst ihren Zauber verlieren würde. Aber Mansfield muss eine kluge Frau gewesen sein, schon weil sie in der Geschichte anmerkt, dass mancher Kuchen, der zum Tee gereicht wird, so gut ist, dass er es verdient hätte, in der Genesis erwähnt zu werden:

„Und Gott sprach: ‚Es werde Cake!‘ Und es ward Cake. Und Gott sah, dass es gut war.“ (S. 120)

Meine absolute Lieblingsstelle! Es gibt in diesem Buch diverse berühmte Autorinnen und Autoren zu entdecken. Die Sammlung geht von George Orwell, Dorothee Parker, Erika und Klaus Mann über Doris Dörrie, Frank Berzbach bis hin zu Banana Yoshimoto. Da dürfte für jede/n etwas dabei sein.

Wer über der Lektüre einzunicken droht, dem empfehle ich den Genuss eines anregenden japanischen Gyokuro. Unnötig zu erwähnen, dass ich während des Verfassens dieser Zeilen an einer Teetasse nippe (einer dünnwandigen, weißen mit Untertasse natürlich), denn ich halte es mit Alice im Wunderland, die schon auf dem Vorsatz zu diesem Band sagt: It´s always tea time.“

Setzt den Kessel auf, spült die Kanne heiß aus und kuschelt Euch in Euren Lieblingssessel. Lasst Euch umgarnen vom feinsinnigsten Getränk der Welt, dessen Duft aus den Seiten dampft und taucht ein ins Leben, das nur mit einer guten Tasse Tee zu bewältigen ist. Es lohnt sich!

Tee – Geschichten zum Entspannen, ausgewählt von Kati Hertzsch (diverse Autor:innen und Übersetzer:innen), Diogenes Verlag, Zürich, 2022, 240 Seiten, 14,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)

Samstag, 15. Oktober 2022

Meine Tage als Herr Pastorin, Rainer Kolbe

Wie nennt man den Ehemann einer Pastorin? Herr Pastor? Nein, er ist ja selbst kein Geistlicher, also Herr Pastorin! Und was passiert, wenn Herr Pastorin auch noch hauptzuständig ist für die Betreuung des gemeinsamen Kleinkindes und des Haushalts? Das finden die Leute dann ungewöhnlich. Dies alles spielt sich auch noch auf dem platten Land in Schleswig-Holstein ab, wo besagte Ehefrau die erste weibliche Vertreterin ihres Berufstandes seit 900 Jahren ist. Keine Frage, darüber muss man(n) schreiben.

Rainer Kolbe, freiberuflicher Autor und Lektor aus Hamburg, hat mehr als 400 Kolumnen über seinen Alltag als Vollzeitvater, Hausmann und Herr Pastorin geschrieben, die in einem Zeitraum von acht Jahren in der Nordelbischen (jetzt: Evangelischen Zeitung) veröffentlicht wurden. Die besten davon finden sich in diesem vergnüglichen Buch.

Her mit den modernen Männern, die Verantwortung in der Familien- und Care-Arbeit übernehmen, möchte frau rufen! Da verwundert es doch sehr, dass Vollzeitväter offenbar nicht immer ernstgenommen werden. So wird ihnen der Gang mit dem Kinderwagen als „Freizeit“ ausgelegt oder gar bei der Mutter besorgt angefragt, ob sie es verantworten könne, ein kleines Kind allein in der Obhut eines Mannes zu belassen, wenn sie arbeitet?! Auch scheint die dörfliche Umgebung programmiert zu sein auf althergebrachte Rollenverteilung, da auch auf Nachfrage das „Mutter-Kind-Turnen“ keinesfalls in „Kinderturnen“ umbenannt werden kann, auch wenn mehr als ein Vater regelmäßig sein Kind in die Sporthalle begleitet. Rainer Kolbe nimmt es mit Humor und ohne jede Bitterkeit, bleibt einfach freundlich stehen, wenn „alle Mütter“ von der Vorturnerin zum Mitmachen aufgefordert werden.

Natürlich ist der Alltag mit der kleinen Tochter von den drolligen Aussprüchen des Kindermundes geprägt. Etwa so:

„Papa: ‚Nun mach hinne, ich bin auch müde.‘ Kind: ‚Warum?‘ Papa: ‚Ich bin ja ein alter Papa.‘ Kind: ‚Dann kommst du ins Museum?! Mama und ich gehen dann ins Museum und gucken dich an!‘“ (S. 24)

In einem christlichen Haushalt kommt es natürlich auch zu gelegentlichen Gottesdienstbesuchen, die vor allem außerhalb des Kindergottesdienstes beschwerlich für alle Beteiligten sein können. Aber Frau Pastorin hilft mit mannigfachen erprobten Ratschlägen zur Vorbereitung (genügend Pixie-Bücher einpacken), dem Verhalten während der Predigt (die manchmal von Geschichten untermalt wird, welche das Kind unbedingt sofort erzählen muss) und dem gelassenen Aufräumen nach dem Gottesdienst, wenn das Kind längst einer Freundin hinterher rennt, das Schlachtfeld in der Bank aber noch beseitigt werden muss. Und was macht Herr Pastorin sonst noch so? Natürlich sowas wie Stühle vom Gemeindehaus in die Kirche schleppen, Kuchen backen, alte Grabsteine aus dem Erdreich stemmen, Glocken läuten, was eben sonst die Frau des Pastors so macht. Oder?

„Recht eigentlich betrachtet sind einige Dinge dabei, die Frau Pastor in den letzten Hunderten von Jahren eher selten gemacht haben dürfte, Grabsteine aus dem Erdreich stemmen zum Beispiel. Dafür backe ich dann einen Kuchen weniger. Obwohl: Grabsteine stemmen macht hungrig.“ (S. 14)

Mir haben die alltäglichen Episoden Spaß gemacht, die außer humorig erzählt auch noch herrlich nachdenklich reflektiert sind. Der Band ist mit bunten Illustrationen versehen und eignet sich als leichte Lektüre für zwischendurch.

Witzige bis rührende Alltagsepisoden eines Vollzeitvaters bei Kirchens mit hohem Schmunzelfaktor, nicht nur für Eltern sehr empfehlenswert.

Meine Tage als Herr Pastorin – Das Kind, das Dorf und der Hund, Rainer Kolbe, Illustrationen von Sina Arlt, KJM Buchverlag, Hamburg 2020, 144 Seiten, 16,00 EUR

(Die Rechte am Coverbild liegen beim Verlag. Ich danke dem Autor für das kostenlos zur Verfügung gestellte Exemplar.)

Dienstag, 30. August 2022

Kreatives Schreiben am Meer, Workshop im August 2022

Diesen Sommer habe ich mich zu einem Aktivurlaub der anderen Sorte entschieden und an einem 5-tägigen Gruppenworkshop für Anfänger in kreativem Schreiben teilgenommen. Der Veranstaltungsort an der Nordsee bestimmte das übergeordnete Thema, das Meer. Seit meiner Schulzeit habe ich mich dem Schreiben von fiktiven Texten nicht mehr gewidmet, jedoch viele Sachtexte (Blogrezensionen, berufliche Texte etc.) verfasst. Auch mein vieles Lesen hat das Schreiben erleichtert

Wir haben uns mit der literarischen Form der Reiseskizze beschäftigt. Dazu verbrachten wir eine Stunde still in den Dünen mit Blick aufs Meer, um Eindrücke aller fünf Sinne zu sammeln, die wir später verarbeiteten. Ebenso wurden uns sprachliche Kniffe vorgeführt, die zu einem lebendigen Ausdruck verhelfen, der nicht abgedroschen klingt, z.B. die Transposition, bei der Adjektive in Verben oder Nomen in Verben verwandelt werden.

Meine Reiseskizze zum Thema Meer (allerdings in Australien) lest Ihr hier.

Nordsee-Feeling
 

Zum Schluss des Kurses sollte jede/r eine Kurzgeschichte verfassen, deren Aufhänger wir im Alltag unserer Umgebung suchen sollten. Mein Aufhänger war das Betreten der lieblosesten Buchhandlung, die ich je gesehen habe in dem kleinen Ort am Meer. Den Eindruck dieses Ladens habe ich in meiner Geschichte weiter verschlimmert und nenne daher nicht ihren Standort, zeige aber Fotos der Gegebenheiten, um die Geschichte zu illustrieren. Meine Buchladen-Kurzgeschichte verlinke ich hier.

Als hilfreich erwiesen sich die vom Dozenten gestellt Fragen, die wir uns als Vorarbeit für die Geschichte beantworten sollten:

-        Was passierte vorher?

-        Welche Figuren haben damit zu tun?

-        Was will die Figur, als die Geschichte beginnt? (Bedürfnis, Motivation)

-        Was kann meine Figur aktiv daran hindern, ihr aktives Bedürfnis zu erfüllen?

 

Zur Dramaturgie der Geschichte wurde uns das RDBD-Schema erläutert:

Auf ein äußeres Ereignis erfolgt eine Reaktion (R), darauf folgt eine Diskussion (D) mit sich selbst oder anderen Figuren, ein Beschluss (B) wird gefasst, der sodann in die Durchführung (D) mündet, etwa eine Handlung. Dieses Schema kann beliebig oft wiederholt werden, je nachdem, auf wie viele Hindernisse die Figur trifft.

 

Kursraum

Ich habe an den fünf Tagen einiges gelernt, ein paar kleine Texte geschrieben und festgestellt, dass mir fiktionales Schreiben Spaß macht. Ich würde wieder an einem solchen Workshop teilnehmen, da es mir gefallen hat, die handwerkliche Seite des Schreibens besser kennenzulernen. Aber den großen Drang einen Roman zu schreiben, verspüre ich nicht (anders als andere Teilnehmer:innen).

Alles überstanden?, Christian Drosten, Georg Mascolo

Die Corona-Pandemie hat uns alle geprägt, bewegt, zur Verzweiflung gebracht. Mich hat der Podcast von Christian Drosten durch die Pandemie...