
Dieses Sachbuch über Traumatherapie ist ganz erstaunlich. Es
wurde nicht von einer Ärztin oder Therapeutin verfasst und doch von einer sehr
kompetenten Expertin, nämlich einer Betroffenen. Sarah Frischke hat in ihrer Kindheit
und Jugend eine komplexe Traumatisierung durch Gewalt und Missbrauch erlebt und
leidet unter diversen Traumafolgestörungen, psychischen und körperlichen (wenn
sich das überhaupt trennen lässt). In ihrem Buch erklärt sie umfassend, was man
über das Thema Trauma und Traumatherapie wissen muss. Zu den fundierten
Sachinformationen stellt sie eigene Erfahrungen mit den einzelnen Symptomen und
Therapieformen. Herauskommt ein „Handbuch für Überlebende“ (so der Untertitel),
das es in dieser Form noch nicht auf dem Markt gibt. Die Kombination aus
Information und Erlebtem stellt einen großen Mehrwert dar. Die Trennung beider
Komponenten erfolgt immer sauber durch das Druckbild, indem alle persönlichen
Erfahrungen kursiv erscheinen und so nie mit dem objektiven Informationsgehalt
verwechselt werden können.
Das Buch beschäftigt sich zunächst allgemein mit der Frage,
was ein Trauma eigentlich ist, welche Folgen es hat und welche Ausprägungen eine
posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) haben kann. Sodann folgt die Struktur
des Buches dem Ablauf, dem sich Betroffene stellen müssen, wenn sie sich als traumatisiert
einstufen.
Zuerst gilt es auf die schwierige Suche nach einer
Therapeutin oder einer passenden Klinik zu gehen. Die verschiedenen Therapiearten
werden genauso erläutert wie die Frage der Finanzierung durch Krankenkassen oder
Rentenversicherungsträger. Hier gibt die Autorin handfeste praktische Tipps
nebst Musterschreiben und Hinweisen für ein Begutachtungsverfahren.
Die Traumatherapie selbst gliedert sich in verschiedene
Phasen, die einzeln und detailliert beschrieben werden. Großen Raum nimmt die Stabilisierung
als erste Phase ein. Sie dürfte für Betroffene auch das Hauptziel der Therapie
sein, also sich wieder sicher (bzw. sicherer) zu fühlen und den Alltag wieder
bewältigen zu können.
Zur Stabilisierung gehören Themen wie Selbstachtung und
Selbstfürsorge, das Erlernen von Skills (also Techniken zur Symptomkontrolle)
sowie die Identifikation der eigenen Ressourcen. In diesem Zusammenhang werden
die einzelnen möglichen Symptome und die hierzu einsetzbaren Therapiemethoden
wie Imaginationsübungen und Körpertherapien erläutert. Detailreich werden z.B. „Der
sichere Ort“ oder die „Tresor-Übung“ beschrieben, und zwar nicht, um sie aus
diesem Buch zu lernen, sondern um deren Sinn deutlich zu machen und die Angst
vor den Übungen zu nehmen.
Als zweite Therapiephase folgt die Traumaexposition, also
die Konfrontation mit den eigenen traumatischen Erlebnissen und Erinnerungen. Die
Autorin erklärt das Für und Wider, überhaupt eine Exposition vorzunehmen sowie
die verschiedenen Techniken der Exposition (z.B. EMDR) nebst ihrer Risiken. Zuletzt
folgt die Phase der Traumaintegration und die Frage, ob es eine Heilung
insbesondere von einer komplexen PTBS geben kann.
Die besondere Stärke des Buches besteht darin, dass es aus
Sicht einer Betroffenen alle auftretenden Fragen anspricht, und zwar in der
Reihenfolge, in der sie sich stellen. Alle Kapitel sind aber auch unabhängig
voneinander lesbar, so dass man keinesfalls das ganze Buch im Zusammenhang
lesen muss. Realistisch werden die praktischen Probleme bei der Therapeutinnensuche
beleuchtet sowie die Schwierigkeit, dass gerade bei Traumatisierung diverse Krankheitsbilder
nebeneinander vorliegen können (insb. Depression und Sucht spielen neben der
PTBS eine Rolle). Schon die Entscheidung für eine bestimmte Therapierichtung
kann überfordernd sein. Die Autorin nimmt die Leserin an jeder Stelle an die
Hand, berichtet von ihren eigenen Schwierigkeiten und zeigt auf, dass diese
Überforderung völlig normal ist. Gleiches gilt für die Zeit während der
Therapie. Sarah Frischke weiß aus eigener Erfahrung, wie überfordernd Therapie,
ja sogar das bloße Spüren des eigenen Körpers sein kann.
Etwa zur Übung „Erfolge würdigen“, schreibt die Autorin:
„Mir half diese Übung vor allem bei der Selbstfürsorge. Gerade
hier hatte ich noch viel nachzuholen und zu üben, was mich teilweise sehr große
Überwindung kostete. Gleichzeitig konnte ich über diese Themen mit kaum jemanden
in meinem privaten Umfeld reden. Denn für die meisten meiner Bekannten und
Freunde war und ist meist nicht zu verstehen, wie viele Dinge im Alltag für
mich eine Riesenhürde darstellten. Sie können nicht begreifen, welche
Schuldgefühle z.B. eine warme Wärmeflasche früher bei mir auslösen konnte. Sie ahnen
auch nicht, mit welchem inneren Kampf ich die eine oder andere warme Mahlzeit
zu mir nahm. Aber gerade diese – nach außen vermeintlich kleinen und
nebensächlichen – Erfolgserlebnisse erhielten durch diese Übung ihre Würdigung und
gerieten bei mir damit nicht mehr in Vergessenheit.“ (S. 179)
Das Credo des ganzen Buches ist, dass Betroffene auf sich selbst
vertrauen und Expertinnen für sich und ihre Erkrankung werden sollten, da jede
PTBS sehr individuell ist. Jede Betroffene sollte in ihrem eigenen Tempo
vorgehen, um eine Verschlimmerung der Erkrankung zu vermeiden und sich trauen,
therapeutische Interventionen oder Behandlerinnen abzulehnen, die ihr nicht
geheuer sind. Die Leserin weiß die Autorin zu jeder Zeit an ihrer Seite wie
eine erfahrene Mitpatientin mit den gleichen Ängsten und Nöten, die ihr den
Rücken stärkt.
An der fachlichen Richtigkeit der Ausführungen in diesem
Buch besteht aus meiner Sicht kein Zweifel. Die Ausführungen werden in Fußnoten
ausführlich mit Quellen der Fachliteratur belegt. Ein umfassendes
Literaturverzeichnis im Anhang enthält sämtliche anerkannte Standardliteratur zum
Thema (z.B. von Luise Reddemann und Michaela Huber), darüber hinaus aber auch
Internetlinks zu Informationsquellen von Selbsthilfeorganisationen und Kliniken.
Das Buch ist sprachlich präzise und nutzt Fachbegriffe, erklärt diese aber
stets so, dass jeder Laie sie gut verstehen dürfte. Natürlich besteht für jede
Betroffene das Risiko, durch das Lesen des Buches getriggert zu werden. Auf
diese Gefahr wird im ersten Teil des Werks ausdrücklich hingewiesen. Jede Leserin
ist dazu aufgerufen, sich selbstfürsorglich nur so viel Lektüre am Stück zuzumuten,
wie es ihr guttut.
Dieses Traumahandbuch
informiert Betroffene fundiert und empathisch wie ein Gespräch mit einer
erfahrenen Mitpatientin. Diese Form ist in der Fachliteratur bislang
einzigartig und ausgesprochen gelungen. Warum ein solches Buch im Selbstverlag
erscheinen muss, ist mir unbegreiflich, da es einfach fehlt!
Ein kleines, feines Leben – Heilung durch Traumatherapie:
Ein Handbuch für Überlebende, Sarah Frischke, Selbstverlag (Books on Demand), 2022,
336 Seiten, 15,99 EUR, ISBN 9783756213535
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher
Erlaubnis der Autorin. Ich danke der Autorin für das kostenlos zur Verfügung
gestellte Rezensionsexemplar.)