Montag, 31. August 2020

Achtsam Morden, Karsten Dusse

Eigentlich lese ich gar keine Krimis. Aber ich verstehe was von Achtsamkeit. Und ehe ich mich versah, war ich in dieses heiter-achtsame Buch eingetaucht. Einige der Achtsamkeitstipps, die jedem Kapitel vorangestellt sind, kannte ich schon. Die konkrete Anwendung war mir jedoch neu.

Björn ist als Rechtsanwalt angestellt in einer großen Kanzlei, wo er sich mit Wirtschaftsstrafrecht befasst. Genauer gesagt betreut er vor allem einen Mandanten, der mit einem Syndikat für Prostitution, Drogen- und Waffenhandel seinen Lebensunterhalt verdient. Kein Wunder, dass es da mal spät werden kann und Björn wenig Zeit hat, sich um Frau und Tochter zu kümmern. Schließlich reißt seiner Frau der Geduldsfaden. Sie meldet Björn bei einem Achtsamkeitscoach an. Björn lernt dort mehr als er zunächst glaubt. Wer hätte gedacht, dass man auch die Anspannung bei der Beseitigung einer Leiche wunderbar achtsam wegatmen kann?

Björn beherzigt fortan auch die Empfehlung seines Coachs, dass niemand etwas tun muss, das er nicht tun will. Achtsamkeit bedeutet, sich auf das zu konzentrieren, was man tun will. Also krempelt Björn sein Leben nach und nach um, verbringt mehr Zeit mit Tochter Emily und hält sich fern von Menschen, die ihm Stress bereiten. Wenn diese einer vernünftigen Diskussion nicht zugänglich sind, kommt es schon mal vor, dass man sie umbringen muss. Ganz achtsam natürlich und entspannt!

„Als ich wieder im Zelt stand, bemerkte ich also ganz bewusst meine Absicht, dass ich Dragan zunächst den Kopf absägen wollte. Ich atmete tief ein … was ein Fehler war. Ich musste umgehend würgen, atmete instinktiv noch mehr von der stinkenden Luft ein und war kurz davor einen Hustenanfall zu bekommen. Tief einatmen in dem Zelt war undenkbar. Ich hob die obere Plane ein wenig an, atmete die frische, feuchte Luft des Bootshauses ein und beruhigte zunächst einmal meine Lunge und meinen Geruchssinn. Und sägte dann ruhig und zentriert Dragans Kopf ab. Es funktionierte!“ (S. 135/136)

Die schnodderig leichte Sprache, in der die ungeheuerlichsten Dinge geschildert werden, als handele es sich um ein Kochrezept, hat mir gefallen. Der Roman ist witzig und nimmt ganz nebenbei ein paar gesellschaftliche Missstände aufs Korn. Wisst Ihr, was die Droge ist, von der heute so viele abhängig sind? Kindergartenplätze! Für die Zusage eines Kitaplatzes würden manche sogar töten. Aber auch dieses Problem bewältigt Björn ganz achtsam.

Ein lustiger Krimi, der sich schnell wegliest. Auch für Nichtkrimileser geeignet!

Achtsam Morden, Karsten Dusse, Wilhelm Heyne Verlag, München 2019, 416 Seiten, 10,99 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

Sonntag, 30. August 2020

Offene See, Benjamin Myers

Mögt Ihr das Meer? Der 16jährige Robert hat das Meer noch nie gesehen. Überhaupt hat er noch nicht viel gesehen und erlebt, kommt er doch aus einem kleinen Bergarbeiterdorf in Nordengland und der Krieg ist gerade erst vorbei. Es ist 1946, als Robert die Schule beendet. Seine Zukunft scheint ihm vorgezeichnet zu sein. Wie sein Vater und dessen Vater wird er unter Tage arbeiten, jedenfalls scheinen das alle zu erwarten. Bevor er sich mit dieser Zukunft befasst, macht Robert sich auf den Weg ans Meer. Er verdingt sich unterwegs als Tagelöhner und nächtigt in Scheunen oder seinem kleinen Zelt. Was für ein Abenteuer!

Voll Neugier und Freude betrachtet Robert die vor ihm liegende Welt, die immer größer zu werden scheint. Dann begegnet er Dulcie, einer ungewöhnlichen Dame, die mit ihrem Hund Butler in einem abgelegenen Cottage wohnt. Eigentlich will Robert ihr nur etwas im Garten helfen. Aber dann entwickelt sich schnell eine Art Freundschaft zwischen den beiden, nicht nur weil Dulcie so wunderbar kochen kann.  Dulcie gibt Robert Bücher zu lesen. Sie sieht Potenzial in ihm und gibt zu bedenken, ob das Leben nicht auch ganz anders sein könnte. Aber auch Robert sieht etwas in Dulcie – die etwas schrullige Dame hat ein Geheimnis, über das sie nicht sprechen will. Etwas scheint sie sehr zu bedrücken, und das Meer macht ihr Angst. Es gelingt Robert und Dulcie durch den anderen eine neue Perspektive einzunehmen, auf das Leben und die offene See.

„Die wenigsten wissen das“, sagte Dulcie. „Aber mache Menschen lesen ja auch ihr ganzes Leben lang kein einziges Buch – dich meine ich nicht damit, du machst etwas, das sogar noch besser ist: Du lebst das Leben. Aber es gibt da draußen einige, die selbst die Zeitung nur dafür benutzen, Fisch darin einzuwickeln und Katzenscheiße aufzuheben.“ (S. 65)

Abgesehen von Dulcies Sprache, die manchmal deutlich-derb daherkommt, ist das Buch in wundervoll poetischer Weise geschrieben. Man riecht den englischen Frühsommer und sieht die Morgenröte des Lebens. Dulcie steht für das Prinzip, dass es keine Frage des Alters ist, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Roberts Lebenshunger ist ansteckend, das Buch strotzt von Aufbruchsgeist. Es ist wunderbar mitzuerleben, wie zwei völlig unterschiedliche Menschen einander auf Augenhöhe begegnen, verstehen und das Beste in einander hervorbringen. Dabei handelt es sich nicht um eine Liebesgeschichte à la Harold and Maude. Robert und Dulcie bleiben die ganze Zeit per Sie. Dennoch knüpfen sie eine großartige Verbindung. Ich habe vor allem Dulcie sehr ins Herz geschlossen. Die Lektüre war sehr genussvoll, nicht zuletzt die Stellen, an denen gegessen wird. Herrlich wird das Meer in Szene gesetzt, es ist Weite und Tiefe, Freiheit und Untergang zugleich.

Ein luftiges Wohlfühlbuch mit Tiefgang, das nach gutem Wein und Brot mit Butter schmeckt. Man möchte aufspringen und zum Meer laufen oder sich mit einem guten Buch und einer Tasse Brennnesseltee auf die Terrasse setzen, beides gleichzeitig.

Offene See, Benjamin Myers, aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, DuMont Verlag, Köln 2020, 270 Seiten, 20,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

Donnerstag, 20. August 2020

Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens, Tom Barbash

Wir befinden uns in New York City, Ende 1979. Die Familie Winter lebt im bekannten Dakota Building an der Central Park West, einer der teuersten Adressen der Stadt. Man ruft einander auf dem Festnetztelefon an und hört seine Musik von Kassetten. Es gibt kein Internet und CNN steht kurz davor, als erster Fernsehsender mit 24 Stunden Nachrichtenprogramm auf Sendung zu gehen. Buddy Winter war bis vor kurzem ein erfolgreicher Talkshowmoderator mit eigener Show – bis er einen Nervenzusammenbruch erlitt, während laufender Sendung aus dem Studio stürmte und verschwand. Sein Sohn Anton, Anfang 20, erzählt uns die Geschichte, wie sein Vater versucht wieder auf die Füße zu kommen. Dabei spielt Anton eine nicht unwesentliche Rolle, denn er hat in der Vergangenheit eng mit seinem Vater zusammengearbeitet, seine Witze überarbeitet, über seine Talkgäste recherchiert und die Fragen vorbereitet.

Nicht nur Buddy hat sich nach dem Zusammenbruch eine Auszeit genommen. Auch Anton ist für ein Jahr nach Afrika zum Peace Corps gegangen und gerade erst nach New York zurückgekehrt. Seine Mutter und sein jüngerer Bruder Kip sind froh, dass er wieder da ist. Das Familienleben hat sich verändert, seit Buddy nicht mehr jeden Tag eine Show zu stemmen hat. Es bleibt Zeit für Gespräche und gemeinsame Ausflüge. Dennoch will Buddy zurück ins Showgeschäft. Der Weg ist steinig. Die Sender sind skeptisch, ob Buddy wirklich wieder stabil genug ist.

„Die Wochen vergingen und ich fühlte mich immer zielloser, was ich aber mitunter genoss. (…)

Unterm Strich wurde meine Rückkehr aus dem Skript gestrichen. Entweder kaperte Buddy meine Geschichten, in dem er sie erzählte, bevor ich dazu kam („Und dann taucht er auf, und da schwimmt doch tatsächlich keine zehn Meter vor ihm ein Nilpferd…“), oder die Leute waren sowieso mehr an seinen Zukunftsplänen interessiert als an meinen. Es war wie die Partyszene in Die Reifeprüfung, nur dass in unserer Version die Gäste Benjamin nach der Gesundheit und den Plänen seines Vaters fragten.“ (S. 38)

Der Roman dreht sich um die Beziehung zwischen Buddy und Anton, in der Buddy der strahlende Star ist, der viel Bestätigung braucht, und Anton alles tut, um der Karriere seines Vaters zu nützen. An der inneren Einkehr Buddys kann er jedoch nicht teilnehmen, da Buddy die Familie zurückgelassen und sich allein auf eine Reise begeben hatte. Als Gegenfigur dient John Lennon, der ein Nachbar der Winters im Dakota ist. Man trifft sich zu zwanglosen Partys und unterhält sich im Fahrstuhl. Wie Buddy hat John eine Auszeit vom Showgeschäft hinter sich. Die letzten fünf Jahre hat er sich als Hausmann um den kleinen Sohn Sean gekümmert, während seine Frau Yoko das Geschäftliche managte. Er hat seit Jahren keinen Song geschrieben, fühlt nun aber neue Kreativität und den Wunsch nach einem neuen Album. John entwickelt sich zu einem väterlichen Freund Antons. Beide teilen ein bedeutsames Erlebnis, das ihnen den Weg in die Zukunft weist. Anton entdeckt Dinge in seiner Beziehung zu John, die es in seiner Beziehung zum Vater nicht gibt. Es fällt ihm schwer seinen eigenen Weg zu finden, ohne Buddy im Stich zu lassen.

Die Story an sich ist gut. Der Roman zeichnet ein authentisches Panorama der Zeit Anfang der 1980er in New York. Jedoch hat die Geschichte in der Mitte einige Längen in den Passagen, in denen Buddy erfolglos Klinken putzen muss, um wieder ins Geschäft zu kommen. Wohl um das politische Klima einzufangen ist da noch die Nebenhandlung um den Präsidentschaftswahlkampf. Antons Mutter unterstützt Ted Kennedy, der allerdings bei den Vorwahlen Jimmy Carter unterliegt. Diesen Nebenschauplatz fand ich unnötig. Die Geschichte verläuft etwas im Sande. Eindeutig am Besten gefallen haben mir die Teile über John Lennon, die zwar fiktiv sind, aber sich tatsächlich so ereignet haben könnten. Mit Buddy und John werden zwei ganz unterschiedliche Männer und Vaterfiguren kontrastiert, beide vor dem verrückten Hintergrund des Showbusiness. Leider bleibt die Figur des Sohns Anton charakterlich recht blass. Es wird zwar deutlich, welche Gedanken dieser sich macht, warum er so und so handelt. Die Figur bleibt dabei aber blutleer, verkopft und emotional für mich nicht fassbar. Interessant finde ich, dass die Nennung John Lennons im Buchtitel nur im Deutschen auftaucht. Das Amerikanische Original heißt hingegen „The Dakota Winters“. Vielleicht hatte ich mir deshalb mehr Schwergewicht auf John Lennon erhofft, der jedoch nur eine Nebenfigur ist.

Ein interessanter Roman über männliche Identität, Vater-Sohn-Beziehungen und das New York von 1980, dem allerdings etwas Kürzung und ein emotionalerer Erzähler gutgetan hätten.

Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens, Tom Barbash, aus dem Englischen übersetzt von Michael Schickenberg, Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2020, 350 Seiten, 22,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)

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