Dienstag, 31. Dezember 2019

Himbeeren mit Sahne im Ritz, Zelda Fitzgerald

Schon das Cover macht es deutlich, das Buch nimmt uns mit in die Goldenen 20er Jahre. Und wer könnte besser darüber erzählen als die Ehefrau des bekannten Autors F. Scott Fitzgerald, bekannt durch „The Great Gatsby“? Heute weiß man, dass sie viele der Texte geschrieben hat, die unter seinem Namen veröffentlich worden sind (auch einige Erzählungen aus diesem Band). Frauen waren als Autorinnen vor 100 Jahren noch stärker benachteiligt und schlechter bezahlt als heute.

Der Band vereint 11 Kurzgeschichten, die sich 11 verschiedenen (fiktiven) Frauen widmen, die in den 1920er Jahren in den USA lebten. Teilweise seien die Figuren autobiografisch angehaucht, wie dem Nachwort von Felicitas von Lovenberg zu entnehmen ist, etwa die Beschreibung der Hauptfigur in „Die erste Revuetänzerin“ (S. 39 ff). In demselben Nachwort ist Frau von Lovenbergs Ansicht zu lesen, es handele sich in den Geschichten durchweg um Frauen, „die sehr selbstbewusst auftreten und sich ihrer selbst sehr bewusst sind“ (S. 205). Ich muss sagen, das war eher nicht mein Eindruck. Aber vielleicht messe ich die Geschichten zu sehr am Frauenbild des 21. Jahrhunderts.

Die geschilderten Frauen stammen aus reichen und armen Familien, leben in der Stadt oder auf dem Land, sind also sehr unterschiedlich. Ihnen ist aber gemeinsam, dass sie zumeist von männlichen Verehrern umgeben sind oder sein wollen, das Heiraten zu ihren festen Zielen gehört oder sie verheiratet sind und ihr Leben dadurch geprägt wird. Ein Leben unabhängig von einem Mann scheint selbst den begüterten Frauen nicht vorzuschweben. Einige der Frauen arbeiten. Dennoch erscheinen mir so gut wie alle Frauen – vielleicht mit Ausnahme der Ballerina Belanova in „Andere Namen für Rosen“ – etwas dümmlich, ungebildet, schwach und naiv. Manche sind durchsetzungsstark, etwa Gracie in „Unsere Leinwandkönigin“, jedoch eher auf dummdreiste Weise, für die ich mich fast fremdschäme. Kaum eine ist in der Lage, ihren beruflichen oder sonstigen Lebensweg konsequent zu verfolgen und darin erfolgreich zu sein. Das scheint den Männern vorbehalten zu sein – wenn es in den Geschichten davon jedoch auch einige wenig glänzende Exemplare gibt.

Aus meiner Sicht kommt es bei den Geschichten jedoch auch gar nicht so sehr auf eine Handlung oder tiefe Charakterisierung der Figuren an. Die Stärke der Erzählungen liegt vielmehr in der Kreation einer Stimmung, eines Bildes der Ära und in der besonderen Sprache, die Zelda Fitzgerald verwendet. In allen Erzählungen wird das Bild vermittelt, dass es in den 20er Jahren, der Ära des Films und der Revuetheater, um die Inszenierung des Lebens ging. Der äußere Schein war ausschlaggebend, die Kleidung, das Auftreten auf den richtigen Partys und mit den richtigen Leuten. Was hinter der Fassade passierte, interessierte niemanden, sofern es nicht den Weg in die Klatschspalten der Zeitungen fand. Entsprechend oberflächlich bleiben die Schilderungen der Frauengestalten. Es geht Zelda Fitzgerald nicht um echte Gefühle und tiefe Motive. Es geht um das Flatterhafte, Vergängliche, für das diese Zeit berühmt wurde.

 „Das Auffälligste an Gay war ihre Art; man hatte fast den Eindruck, sie spiele sich selbst. Ihre Kleider und ihre Juwelen waren von ausgezeichneter Qualität, schmückten sie jedoch nur oberflächlich wie Lametta und Kugeln einen Weihnachtsbaum. Das kam daher, dass sie selbst von unheimlich guter Qualität war und nichts zu verbergen hatte als ihre Vergangenheit. (…) Als ich sie zum ersten Mal sah, saß sie im Japanischen Garten des ‚Ritz‘ und aß Himbeeren mit Sahne.“ („Die erste Revuetänzerin“; S. 39)

Die Geschichten werden von einem allwissenden Erzähler berichtet, der für meinen Geschmack etwas zu moralisch überlegen wirkt, weil nur er die wahre Natur der Heldinnen durchblickt. Die Handlung der Geschichten ist eher Kulisse, bleibt teilweise flach. Dafür ist aber die Sprache der Autorin ein Feuerwerk! Da gibt es am laufenden Meter herrlich bildhafte Formulierungen wie diese:

„Die vertrocknete Verbitterung hing hinter Miss Ellas Augen wie Knoblauch an einer Schnur über einem offenen Feuer.“ („Miss Ella“, S. 131)


Das Buch ist aus historischer Sicht interessant und würdigt das Schaffen von Zelda Fitzgerald, die zu Lebzeiten stets im Schatten ihres berühmteren Ehemannes gestanden hat. Die Geschichten sind ganz amüsant, aber selbstbewusste Frauen stelle ich mir anders vor.

Himbeeren mit Sahne im Ritz, Zelda Fitzgerald, aus dem amerikanischen Englisch von Eva Bonné, Penguin Verlag in der Verlagsgruppe Random House, München 2019, 224 Seiten, 10,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

Montag, 30. Dezember 2019

Die Kakerlake, Ian McEwan

Der Brexit bewegt die Gemüter seit Langem. Nach dem Referendum hat sich so mancher fassungslos an den Kopf gefasst und sich gefragt, wie es soweit kommen konnte. Nach dem Hickhack der letzten Monate fragt man sich das umso mehr. Die Antwort hat Ian McEwan nun gefunden: Es liegt an den Kakerlaken!

Ihr kennt sicher „Die Verwandlung“ von Franz Kafka. Ein Mann wacht morgens auf und stellt fest, dass er zum Käfer geworden ist. In Großbritannien war es genau umgekehrt.
„Als Jim Sams, klug, doch beileibe nicht tiefgründig, an diesem Morgen aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in eine ungeheure Kreatur verwandelt. Eine Weile blieb er auf dem Rücken liegen (nicht gerade seine bevorzugte Stellung) und betrachtete verwundert die fernen Füße, die wenigen Gliedmaßen.“ (S. 11)
Eben noch eine Kakerlake, findet sich Jim Sams in einem menschlichen Körper wieder. Wer ist Jim Sams? Nun – der britische Premierminister. Und genaugenommen nimmt der Roman das Wort Brexit auch gar nicht in den Mund. Vielmehr versucht Jim Sams in seinem Land eine ganz neue Wirtschaftsordnung zu etablieren, zur Not eben im nationalen Alleingang. Wenn nur das Parlament nicht wäre…

Ian McEwan hat eine Satire auf das Brexit-Chaos und zugleich eine Hommage an Kafka geschrieben. Denn Schreiben ist wohl das Einzige, was einem Schriftsteller übrig bleibt, wenn sein Land vom Wahnsinn geflutet wird. Alle Namen und Personenbeschreibungen sind natürlich abgewandelt. Dennoch erkennen wir genau, wer Boris Johnson, Emmanuel Macron und Donald Trump darstellen soll. Die Geschichte hat ihre eigene Logik, so dass am Schluss tatsächlich alles einen Sinn ergibt. Für den deutschen Leser ist es ein zusätzliches Schmankerl, dass der Nachname des fiktiven britischen Premierministers einer frechen Kinderbuchfigur mit blauen Punkten im Gesicht gleicht. Wer von beiden das höhere geistige Niveau aufweist, lasse ich hier dahinstehen.
„Bestimmt gab es bei den Griechen ein Wort dafür, wenn jemand gegen das ureigenste Interesse handelte. Und in der Tat, das gab es. Akrasia. Perfekt. Das Wort machte die Runde.“ (S. 112)
Das dünne Buch liest sich kurzweilig und könnte lustig sein, wenn die Groteske nicht so furchtbar dicht an der Realität wäre. Eine bessere Erklärung für die Vorgänge in Großbritannien als diesen Roman habe ich jedenfalls noch nirgends gehört.

Hoch aktuell und lesenswert!

Die Kakerlake, Ian McEwan, aus dem Englischen von Bernhard Robben, Diogenes Verlag, Zürich 2019, 144 Seiten, 19,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)

Sonntag, 29. Dezember 2019

Herr Katō spielt Familie, Milena Michiko Flašar

Herr Katō heißt eigentlich ganz anders. Er ist gerade in Rente gegangen und lebt mit seiner Frau in ihrem eigenen Häuschen auf einem Berg, irgendwo in Japan. Die Kinder sind längst ausgezogen. Ihm ist langweilig. Und auch seiner Frau fällt die Umstellung schwer, ihren Mann den ganzen Tag zuhause zu haben. So schickt sie ihn gelegentlich zu einem Spaziergang nach draußen. Nicht einmal krank ist er, das sagt sein Arzt. Er braucht sich also nicht um eine neue Diät, Sport oder die Einnahme von Tabletten zu kümmern. Was soll er nur anfangen?


In einem Lokal, in dem er die Zeit totschlägt, begegnet er Mie, einer jungen Frau, die eigentlich anders heißt. Mie ist sie nur heute. Mie berichtet, dass sie eine Art Schauspielerin sei, die Menschen buchen können, um eine bestimmte Rolle zu spielen, etwa eine Freundin oder Ehefrau, um ein Familienfest zu besuchen oder die Tochter, die jemand nie hatte. Heute sei sie eben als Mie gebucht und habe sich entsprechend gekleidet. Mie schlägt vor, dass der Erzähler morgen einen gewissen Herrn Katō spielen könne. Man werde dafür auch bezahlt. Der Erzähler lässt sich auf diesen Vorschlag ein.

„Was ist schon wahr, fragt er sich, und was nicht? Kein Zaun trennt das eine vom anderen. Und wenn doch, dann gibt es Schlupflöcher, so groß, dass man problemlos durch sie hindurchsteigt, sich nicht verfängt an einem abstehenden Draht. Kaum auf der anderen Seite, ist es derselbe Boden, ein wenig feucht, aber nicht zu sehr: Man sinkt nicht ein. Hinterlässt keinen Abdruck. Erst weiter hinten wird es glitschig. Aber solange er sich nah am Zaun aufhält, wird er nicht ausrutschen.“ (S. 69)

Wir tauchen ein, zuerst in die Familie des Erzählers, sein etwas erstarrtes Verhältnis zu seiner Frau und den Kindern, dann auch in die Familien derer, die einen „Stand-In“, also einen Schauspieler für einen Tag zu einem bestimmten Zweck buchen. Warum tun Menschen das? Was bekommen sie von dem Schauspieler, das sie im wahren Leben nicht bekommen? Und ist das eigentlich schlimm, sich etwas vorspielen zu lassen? Die Grenze zwischen Wunsch und Wirklichkeit verschwimmt. Kann nicht etwas, das wir uns vorstellen, genauso schön sein wie etwas, das wirklich geschehen ist? Manchmal kann eine Vorstellung auch zu einer Veränderung in der realen Welt führen. Spielen wir nicht auch in der eigenen Familie manchmal eine Rolle?

Der Roman hat ein langsames, beschreibendes Erzähltempo. Durch den Sprachfluss wird die Geschwindigkeit des Lebens dargestellt, das nach dem Renteneintritt des Erzählers fast zum Erliegen kommt. Die Sprache ist ein bisschen eigentümlich, obwohl es sich bei dem Buch nicht um eine Übersetzung handelt, sondern im Original auf Deutsch geschrieben wurde. Interessant fand ich an der Sprache, dass sie mich stark an die Diktion erinnert, die ich aus Übersetzungen aus dem Japanischen kenne. Die Satzmelodie und Wortwahl sind irgendwie anders als bei der Übersetzung aus anderen Sprachen. Woran das wohl liegt bei einem deutschen Text?

Die Autorin wurde 1980 in Österreich geboren, ihre Mutter ist Japanerin. Der Roman war 2018 auf der Shortlist für den Österreichischen Buchpreis nominiert.

Ein interessanter Roman, auf dessen langsames Tempo sich einzulassen lohnt. Die leicht philosophischen Anklänge über Schein und Sein fand ich inspirierend.

Herr Katō spielt Familie, Milena Michiko Flašar, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2018, 176 Seiten, 20,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Exemplar kostenlos durch ein Gewinnspiel vom Verlag erhalten.)

Samstag, 28. Dezember 2019

Erika oder Der verborgene Sinn des Lebens, Elke Heidenreich, Michael Sowa

Es ist kurz vor Weihnachten und Betty fühlt sich – wer kennt das nicht? – leer und ausgebrannt. Zuviel gearbeitet, Akku leer, und nun auch noch Weihnachten. Da bekommt Betty einen Anruf ihres Verflossenen, Franz, der sie über die Feiertage zu sich nach Lugano einlädt. Nur so, ganz freundschaftlich. Betty sagt zu, sie hat eh nichts Besseres vor. 

Bevor Betty sich an Heilig Abend in den Zug nach Lugano setzen kann, muss ein Weihnachtsgeschenk für Franz her. Betty geht ins KaDeWe, da wird sich doch etwas finden lassen. So kommt Betty zu Erika, einem lebensgroßen rosa Stoffschwein. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Erika sitzt einfach da und sieht so aus, als ob sie Erika heißt. Sie muss mit!

„Es sah aus wie ein Mensch, und ich weiß nicht, wieso ich auf ‚Erika‘ kam, aber es war wirklich mein erster Gedanke. (…) Sie war aus hellrosa Plüschfell, hatte vier stramme dunkelrosa Beine, einen dicken Kopf mit leicht geöffneter Schweineschnauze, weichen Ohren und etwa markstückgroßen himmelblauen Glasaugen mit einem unbeschreiblichen Ausdruck – vertrauensvoll, gutmütig, neugierig und mit einer Art gelassener Pfiffigkeit, die zu sagen schien: Was soll all die Aufregung, nimm es, wie es kommt, sieh mich an, ich bin nur ein Plüschschwein im KaDeWe, aber ich bin ganz sicher, dass das Leben einen wenn auch verborgenen Sinn hat.“ (S. 15/16)
Seid Ihr schon mal mit einem lebensgroßen Plüschschwein verreist? Verpacken lässt es sich natürlich nicht. Man kann es nur an den Körper pressen und vor sich her tragen. Oder auf den Sitz neben sich setzen. Ein Plüschschwein hat eine erstaunliche Wirkung auf seine Umgebung. Vielleicht sollten wir alle eins mit auf Reisen nehmen? Wir begleiten Betty und Erika in der Feiertagshektik in den Zug. Doch die Reise nimmt einen überraschenden Verlauf. Ob daran nur Erika schuld ist?

Eine kurze, vergnügliche Weihnachtsgeschichte, ganz ohne Kitsch, mit herrlichen Illustrationen von Michael Sowa. Erika muss man sofort ins Herz schließen. Ihr Blick ist wirklich einmalig. Und mit Bettys Gedanken können sich sicher viele von uns vor dem Fest identifizieren. Wohl dem, der dann ein Schwein bei sich hat.

Süße Geschichte mit schönen Bildern, kurzweilige Unterhaltung für stressfreie Weihnachtstage.

Erika oder Der verborgene Sinn des Lebens, Elke Heidenreich, Michael Sowa, Sanssouci im Carl Hanser Verlag, München Wien 2002, 56 Seiten, 10,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

Just Mary, Paola Morpheus

Mit einem Comic macht Maria, die Mutter Gottes, dem lieben Gott und der katholischen Kirche quasi die Hölle heiß. Sie legt den Finger in die...