Die Geschichten wurden im dänischen Original erstmals 1952 und 1963 veröffentlicht, spiegeln also auch den Zeitgeist dieser Jahre wieder. Liest man die zumeist aus weiblicher Perspektive geschriebenen Erzählungen, wird deutlich, dass ein Frauenleben damals ohne die Ehe nicht vollständig sein konnte. Wert und Selbstwert der Frau wurden an ihren Heiratschancen gemessen. Auch wirtschaftlich war ein Auskommen außerhalb des elterlichen Hauses ohne Mann kaum denkbar. Auch war jede Frau ganz selbstverständlich mit der Erwartung konfrontiert Kinder zu bekommen.
Welch hohen Preis die Frauen für die Heirat und Absicherung zu bezahlen hatten, wird in den Geschichten augenfällig. Denn auch wenn eine Ehe unglücklich war, der Mann trank und gewalttätig war, war das kein Trennungsgrund. Auch das lag im Bereich des Normalen, so scheint es. Frauen hatten keine hohen Erwartungen an ein erfülltes Leben zu stellen. Sie hatten froh zu sein, wenn einer sie zur Frau nahm.
Besonders auffällig wird dies in der Geschichte „Der Regenschirm“. Das Eheleben ist eintönig und langweilig, die erste Verliebtheit verflogen, die eheliche Wohnung praktisch eingerichtet, aber das Geld knapp. (Ditlevsens Geschichten spielen in der Regel im Arbeitermilieu.) Da Helga als Kind einmal eine elegante Dame mit einem Regenschirm gesehen hatte, wurde diese Luxusgegenstand zum Inbegriff ihrer Träume von einem schönen Leben. Hätte sie nur auch so ein Ding, wäre das Leben elegant und glamourös! Sie schafft es tatsächlich, sich einen Schirm zusammenzusparen. Doch das Ende lässt sich erahnen: Er hat nicht den gewünschten Effekt.
„Ich sah ihn nicht an, als ich mich verabschiedete. Ich fragte nicht, mit wem er sich verlobt hatte. Ich wusste, dass er sie nie zu uns nach Hause einladen könnte. Diese Familie eignete sich nicht dazu, neue Mitglieder aufzunehmen.
Drei Tage nach dem Tod meiner Tante zog ich in ein Zimmer zur Untermiete. Meine Mutter war zu sehr am Boden zerstört, um es wirklich zu verstehen. Ich nutzte ihren Zustand aus, um ihr zu erzählen, dass ich bald heiraten würde. Da sagte sie etwas Merkwürdiges. ‚Es ist egal, wen man heiratet.‘ Ich habe nie verstanden, was sie damit meinte.“ (aus „Böses Glück“, S. 171)
Ein weiteres Merkmal der Ehe in den 50er Jahren scheint außer der Ärmlichkeit des Lebens auch zu sein, dass Mann und Frau nicht miteinander über Herzensdinge reden. So beleuchtet die Story „Meine Frau tanzt nicht“ den inneren Monolog einer Ehefrau, die nicht wagt, über ihre körperliche Behinderung mit ihrem Man zu sprechen, obwohl diese für jeden ersichtlich ist. Die Scham ist zu groß. Dennoch macht sie sich stundenlang Gedanken darüber, wie ihr Mann wohl in Wahrheit darüber denken mag und was dieser Makel mit ihrem Wert als Ehefrau macht. Dabei wird eine so große innere Distanz des Paares offenbar, dass einem kalt wird.
Auch die Rolle der Kinder in einer Familie wird angesprochen. Dabei könnte man zuweilen glauben, Kinder seien Manövriermasse wie Möbelstücke. Was geschieht mit ihnen im Falle der Trennung? Wer kommt für sie auf, wenn der Ehemann sich eine Neue sucht? Sind sie manchmal nur der Blitzableiter für die Launen des Vaters?
Die besondere Stärke der Geschichten ist ihre menschliche Authentizität. Man fühlt die gesellschaftliche Atmosphäre der Nachkriegsjahre, die Sehnsucht nach ein bisschen Glück und Glanz im von harter Arbeit geprägten Leben. Dabei werden ganz alltägliche Begebenheiten geschildert, die jede von uns erlebt haben könnte, eine Trennung, ein Hauskauf, ein mitgehörtes Telefonat oder Gespräch. Zumeist bleibt das Augenmerk auf der weiblichen Lebenswirklichkeit, indem auch Themen wie Fehlgeburt und Abtreibung als Teil des Alltags von Frauen geschildert werden. Tove Ditlevsen macht diese Stimmungen erlebbar, indem sie gerade die Gedanken oder scheinbar belanglosen Sätze des Alltags aufschreibt, über die wir uns oft keine Gedanken machen.
Tove Ditlevsens Kurzgeschichten sind vom gleichen hohen literarischen Wert wie ihre Romane. Mit wenigen Worten schildert sie durch Alltagsbegebenheiten die Stimmung einer ganzen Generation, die bis heute in unserer Gesellschaft nachwirkt. Sie stellt das Erleben von Frauen in den Mittelpunkt, wie es zu ihrer Zeit in dieser realistischen Art und Weise wohl kaum jemand getan hat. Unbedingt lesen!
Böses Glück, Tove Ditlevsen, aus dem Dänischen übersetzt von Ursel Allenstein, Aufbau Verlag, Berlin, 2023, 176 Seiten, 20,00 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)
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Zusatzinfo:
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