Freitag, 19. Februar 2021

Abhängigkeit, Tove Ditlevsen

Der dritte Band der Kopenhagen-Trilogie erschien auf Dänisch erstmals 1971 und ist der einzige Teil der Trilogie, der früher schon einmal auf Deutsch übersetzt wurde (1980 unter dem Titel „Sucht“ beim Suhrkamp Verlag erschienen). Interessant ist der Originaltitel „Gift“ – dieser kann auf Dänisch sowohl „Gift“ als auch „verheiratet“ bedeuten. Beides lag in Tove Ditlevsens Leben eng beieinander.

Der Band beginnt mit Toves erster Ehe. Sie heiratete 1939 den über 30 Jahre älteren Viggo F. Møller. Er war Schriftsteller und Journalist und half Tove bei der Veröffentlichung ihrer ersten Werke. Zum ersten Mal findet sich Tove als eine Art schreibende Hausfrau wieder. Die Beschreibung dieser Ehe passt so gar nicht zu der Frau, die wir in den beiden vorigen Bänden der Trilogie kennengelernt haben. Morgens am Frühstückstisch liest der Ehemann die Zeitung. Tove darf ihn dabei nicht ansprechen. Abends kommt er oft übellaunig aus dem Büro nach Hause. An Sexualität scheint er kein Interesse zu haben. Die vor der Ehe genossene Zweisamkeit mit Gesprächen über Literatur findet kaum noch statt. Mehr und mehr nimmt Tove aber eine eigene Rolle im Literaturbetrieb ein. Sie gründet einen Club für junge Literaten und findet literaturaffine Freunde.

Die Ehe hält nicht lange. Als Tove bereits eine erfolgreiche Autorin ist, heiratet sie den Studenten Ebbe Munk, vor allem da sie bereits von ihm schwanger ist. 1943 kommt die Tochter Helle zur Welt. Allerdings ist Tove nicht die typische Mutter, wie sie im Buche steht. Das Schreiben bleibt in ihrem Leben stets an erster Stelle. Da kommen weder Männer noch Kinder mit. Die deutsche Besatzung in den 1940er Jahren nebst Faschismus und Widerstand in Dänemark am Rande tauchen auf.

Die Autorin spricht Eheprobleme in einer Weise an, die für die Zeit absolut ungewöhnlich ist. Sie beschreibt, wie ihre zuvor leidenschaftliche Beziehung zu Ebbe darunter leidet, dass sie in der Stillzeit keine Lust auf Sex hat. Dies empfindet dies als persönlichen Makel, er nennt sie frigide und sucht sein Vergnügen bei anderen. Dass dies ein natürlicher Umstand sein könnte, auf den ein Mann Rücksicht zu nehmen hat, scheint niemandem in den Sinn zu kommen. Tove fühlt sich schuldig. Als sie zum zweiten Mal schwanger wird, weiß sie, dass ihre Ehe dies nicht überstehen würde. Sie entscheidet sich zur Abtreibung, was in Dänemark jedoch legal nicht möglich ist. Sie beschreibt die entwürdigende, scheinheilige und gefährliche Prozedur, durch die sie das Kind schließlich loswird.

Kurze Zeit später lernt sie den Arzt Carl Ryberg kennen, den sie bald heiratet und von dem sie ein weiteres Kind bekommt. Eine in jeder Hinsicht toxische Beziehung beginnt. Carl macht Tove mit dem Schmerzmittel Penithidin bekannt. Sie erlebt einen nie zuvor gekannten Rausch. Ist es der Mann oder der Rausch, in den sie sich verliebt? Die Abhängigkeit von beiden beginnt von Stund an. Carl hält sie von ihren Freunden fern und beteuert, wer künstlerisch arbeite wie sie, dürfe nicht so viel Umgang mit anderen Menschen haben. Doch bald sind Tove ohnehin alle anderen egal. Sie schützt nicht existierende Schmerzen vor, um weiter Medikamente zu bekommen.

„Er tätschelte mir die Wange: „Armes Kleines, jetzt bekommst du erst mal eine Spritze.“ Ich lächelte ihn dankbar an, während sich die Flüssigkeit in meiner Blutbahn verteilte und mich in die einzigen Höhen versetzte, in denen ich leben wollte. Dann schlief er mit mir, wie immer, wenn die Wirkung ihren Höhepunkt erreichte. Er tat es seltsam hastig und brutal, ohne Vorspiel, ohne Zärtlichkeit, und ich empfand rein gar nichts dabei. Leichte, sanfte, unbeschwerte Gedanken schwebten durch meinen Kopf. Ich dachte voller Wärme an all meine Freunde, die ich so gut wie nie sah, und führte imaginäre Gespräche mit ihnen.“ (S. 111/112)

Das Erleben der Sucht, des Entzugs und der Erfahrung, dass der Entzug nicht das Ende der Sucht ist, ist der intensivste Teil des Buches. Hautnah ist die Leserin bei diesem Todeskampf dabei. Da geht es ans Eingemachte. Ganz zum Schluss des Buches deutet sich die vierte Ehe der Autorin mit Victor an, die jedoch keinen Eingang mehr in die autofiktionale Erzählung gefunden hat. Seltsam eigentlich, denn Tove Ditlevsen heiratete ihn bereits 1951. Nach der Trennung von ihrem vierten Ehemann widmete die Autorin der 22jährigen Ehe ein eigenes Buch, nämlich „Wilhelms Zimmer“.

„Abhängigkeit“ ist ein sehr intensives Buch und unterscheidet sich von den beiden ersten Bänden dadurch, dass es sehr plotgetrieben ist. So viel passiert, Männer und Kinder rasen durch ihr Leben, sie wird als Schriftstellerin immer bekannter und kann längst sich und die ganze Familie von ihrem Schreiben ernähren. Tove strebte seit ihrer Kindheit stets nach Selbständigkeit und endete doch in Abhängigkeit. Tragisch.

Ein starkes Buch, das die Zerrissenheit der Autorin zwischen der fiktionalen und der realen Welt offenbart. Es ist eine beeindruckende Innenschau dieser ungewöhnlichen Frau. Unbedingt lesenswert!

Abhängigkeit, Tove Ditlevsen, aus dem Dänischen übersetzt von Ursel Allenstein, Aufbau Verlag, Berlin 2021, 176 Seiten, 18,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

Zusatz-Info:

"Abhängigkeit" ist Teil der Kopenhagen-Trilogie, deren ersten Band "Kindheit" und zweiten Band "Jugend" ich ebenfalls rezensiert habe.

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