Sam ist ein Außenseiter und seit dem Wegzug seines besten Kumpels ohne Freunde. Als die Sommerferien beginnen, nimmt er einen Job im örtlichen Kino an. Sam möchte so wenig Zeit wie möglich zuhause verbringen, denn dort ist sein arbeitsloser, sehr verschlossener Vater. Die Mutter betreibt eine kleine Buchhandlung im Ort. Sie ist schwer erkrankt, Sam hat Angst, weil sie bald sterben könnte.
„Überhaupt hatte ich das Gefühl, ein paar neue Augen verpasst bekommen zu haben. Weil, ich musste die Jahre davor ja blind gewesen sein. Natürlich hatte ich gewusst, dass Mütter sterben und Freundschaften zerbrechen, aber ich hatte diese Dinge nie richtig gesehen. Nun sah ich die Selbstzweifel meines Dads, wenn er Stellenanzeigen durchging. Und ich sah die Angst meiner Mom, wenn sie mich mit einem Lächeln trösten wollte. Und keine Ahnung, ob das wirklich besser war.“ (S. 24)
Der Roman erzählt die Geschichte dieses Sommers, den Sam im Kino und mit drei neuen Freunden verbringt. Er will so cool sein wie sie, dazugehören, Aufregendes erleben, sich verlieben. Er sieht sich alte Filme an, und wie einen Film der 80er Jahre sieht die Leserin Sams Coming of Age-Geschichte vor sich. Wir leiden mit Sam durch peinliche Situationen, die Unfähigkeit zur richtigen Zeit das richtige zu tun, seine Unerfahrenheit, eben das ganze Teenagerleben, das die ganze Welt bedeutet. Das Leben spiegelt sich in Songs auf Mixtapes und wichtigen Sätzen, die man sich notieren muss. Und dann sind da noch die ganz großen Themen, die auch vor einem Teenager nicht halt machen. Ich habe mit Sam um den Tod seiner Mutter geweint, der bereits im ersten Satz des Romans angekündigt wird. So intensiv macht Wells die widersprüchlichen Gefühle erlebbar, die auf Sam einstürmen. Er will frei sein, sich abnabeln, aber wie soll er das ohne seine Mutter schaffen? Gerade noch hat er das Prickeln der ersten Liebe gespürt, das ganze Leben in einem Augenblick. Was soll überhaupt in der Zukunft werden? Auch seinen Freunden fällt es schwer zu unterscheiden, was sie wirklich wollen und was andere erwarten.
Ich fühlte mich zurückversetzt in die Zeit, als ich selbst 16 Jahre alt war, in die intensiven Gefühle, die unabhängig von Ort und Zeit zu dieser Lebensphase gehören. Nie mehr nehmen wir das Leben intensiver wahr als in dieser Zeit, in der wir so vieles zum ersten Mal tun und alles noch vor uns liegt. Die Figuren kamen mir sehr dicht, Benedict Wells hat deren Ton sehr gut getroffen. Das liegt sicher daran, dass in Sam, der seine diversen Ängste überwinden muss, viel von Benedict Wells selbst eingeflossen ist, wie er selbst bei einem Bloggertreffen des Verlags berichtete. Der 1984 geborene Autor hat offenbar eine große Sehnsucht nach den 80er Jahren in Amerika, der Zeit des Kalten Krieges, der Zeit ohne Internet und Social Media, in der Menschen noch gezwungen waren persönlich miteinander zu sprechen. Wells hat sich diese Dekade erschlossen durch unzählige Filme und Serien aus diesen Jahren. Fasziniert ist er ganz offensichtlich von der Teenagerzeit, denn nie mehr im Leben verändert sich ein Mensch schneller und in kürzerer Zeit als in diesen Jahren. So ist „Hard Land“ Benedict Wells‘ Lieblingsbuch, bestehend aus lauter Lieblingsthemen und -orten, wie z.B. den alten Filmen, der kleinen unabhängigen Buchhandlung und der Musik von Bruce Springsteen und anderen, aus der eine eigene Playlist zum Buch erstellt wurde (vgl. benedictwells.de/soundtracks).
Ein Roman, so leicht wie ein Sommerwind und so tief traurig, dass einem die Tränen kommen. Mit dem Frühstücksclub zurück in die Zukunft reisen und dabei Bruce Springsteen hören. Auf geht’s!
Hard Land, Benedict Wells, Diogenes Verlag, Zürich 2021, 352 Seiten, 24,00 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)
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