Donnerstag, 25. Februar 2021

Spinner, Benedict Wells

Nachdem gestern „Hard Land“, der neue Roman von Benedict Wells erschienen ist, vervollständige ich nun meine Kenntnisse über die anderen Romane des Autors. „Spinner“ ist der erste Roman, den Benedict Wells im Alter von 19 Jahren geschrieben hat.

Jesper ist 20 Jahre alt und sieht sich als den einsamen Außenseiter, den niemand versteht. Nach dem Abitur ist er von München nach Berlin gezogen, um sich ganz seinem ersten Roman zu widmen. Er haust in einem billigen Kellerloch und hat nur Gustav zum Freund, den er an seinem ersten Tag in der Stadt kennengelernt hat. Ansonsten hat er alle Brücken hinter sich abgebrochen und nicht einmal seiner Mutter seine Telefonnummer gegeben. Vor zwei Jahren ist Jespers Vater gestorben, was die familiäre Situation zuhause massiv erschüttert hatte. Nebenbei macht Jesper ein Praktikum bei einer kleinen Zeitung.

Wir begleiten Jesper durch eine sehr entscheidende Woche seines Lebens. Seine besuchsweise Rückkehr in die Heimat steht bevor, sein Romanmanuskript, für das sich noch kein Verlag interessiert hat, ist fertig. Allerdings ist es dank seines rauschhaften nächtlichen Schreibens mit reichlich Alkohol und anschließendem Schlaftablettenkonsum zu einem Epos von über tausend Seiten angeschwollen. Dann bricht in wenigen Tagen alles in sich zusammen.

„Auf dem Balkon angekommen, hatte ich erneut dieses Gefühl, das mich schon seit einiger Zeit umtrieb, diese Sehnsucht nach einem Ort, irgendwo da draußen, hinter dem Horizont dieser Stadt, einem Ort, an dem ich wieder glücklich sein konnte. Dort in der Ferne waren meine Träume und warteten auf mich. Sie schienen nach mir zu rufen, und alles wäre möglich, wenn ich mich nur in ihre Richtung treiben lassen würde…“ (S. 45)

Jesper glaubt, seine wahren Träume zu verfolgen, in Berlin unangepasst zu leben und sich so von seiner traurigen Vergangenheit zu befreien. Tatsächlich aber ist er seinen Problemen doch eher ausgewichen, was auf einmal nicht mehr möglich ist. Unglückliche Liebe, das Zusammentreffen mit Menschen von früher und körperliche Angeschlagenheit ergeben einen schmerzlichen Cocktail. Jesper kann Wahn und Wirklichkeit kaum noch unterscheiden. Fängt sein Roman an zu leben? Und wer war sei Vater wirklich?

Benedict Wells gelingt es in authentischer Sprache die Sehnsucht, Orientierungslosigkeit und Leere eines jungen Mannes spürbar werden zu lassen, der einfach glücklich sein möchte, aber noch nicht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll. Er beschreibt das Erwachsenwerden und die Identitätsfindung, die wir alle erleben, den Wunsch dazuzugehören und doch individuell und natürlich anders als unsere Eltern zu sein. Besonders gut gelungen finde ich die Vermischung von Einbildung und Realität. Erstaunlich ist, dass der Autor dieses Buch schrieb, als er selbst im Alter des Protagonisten war, also noch keine Distanz zu dieser Lebensphase hatte. Das Buch liest sich gut, hat aber noch nicht die Tiefe wie etwa „Vom Ende der Einsamkeit“ oder „Hard Land“.

Ein angenehm verdichteter Roman über das Erwachsenwerden, der beschreibt, wie eine einzige Woche alles verändern kann.

Spinner, Benedict Wells, Diogenes Verlag, Zürich 2016, 320 Seiten, 12,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

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