Montag, 25. September 2023

Grimm und Möhrchen – Ein Möhrchen im Gemüsebett, Stephanie Schneider

Ein Bilderbuch von Grimm und Möhrchen! Drei Geschichtenbände von dem kleinen Zesel Möhrchen und Buchhändler Grimm gibt es schon, nun kommt ein großformatiges Bilderbuch dazu, und zwar mit einer Einschlafgeschichte.

Nach einem schönen Tag im Garten können Grimm und Möhrchen nicht einschlafen. Dabei ist das Kofferbett des Zesels doch so gemütlich! Kein Wunder, sie haben die Gute Nacht-Geschichte vergessen! Grimm liest „Die Prinzessin auf der Erbse“ vor. Möhrchen ist begeistert: ein Märchen mit Gemüse! Das will er gleich selber ausprobieren und lässt Grimm alle weichen Dinge anschleppen, damit sie auch so Gemüsebett haben können.

Wie gewohnt erzählt Stephanie Schneider die Geschichte mit lustigen Wortkreationen oder Verdrehungen, was nicht nur Kinder zum Schmunzeln bringt.

„Lass uns die Erbsen ernten.“

„Au ja! Lass uns die Ernten erbsen“, ruft der kleine Zesel und macht einen geringelten Hopser, denn Möhrchen liebt Gemüse. (S. 2)

Vorn und hinten im Einband gibt es ein lustiges Kuschellied zum Mitsingen („Du bist hier neben mir. Ich bin heut ein Kuscheltier.“)

Das Bilderbuch ist schon für jüngere Kinder geeignet als die längeren Geschichtenbände, die Geschichte ist weniger komplex. Ich würde sie ab drei Jahren empfehlen. Die Illustrationen gefallen mir besonders gut, weil sie oft die ganze Seite einnehmen und auch der Hintergrund der Schrift voll eingefärbt ist.

Das Bilderbuch ist ein Farbgenuss! Die Einschlafgeschichte lädt zum Kuscheln ein, und sicher auch zum späteren Lesen des genannten Märchens. Unschlagbar süß ist wie immer Möhrchen, der kleine geringelte Zesel.

 

Grimm und Möhrchen – Ein Möhrchen im Gemüsebett, Stephanie Schneider, Illustrationen von Stefanie Scharnberg, dtv Verlag, München, 2023, 32 Seiten, 15,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)

Graue Bienen, Andrej Kurkow

Andrej Kurkow gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller der Ukraine. Er wurde 1961 in St. Petersburg geboren und schreibt seine Bücher auf Russisch, lebt aber bereits seit seiner Kindheit in Kiew. In „Graue Bienen“ beschäftigt er sich mit der Region Donbass und der Krim. Der Roman erschien im Original bereits 2018, also mehrere Jahre nach der Annektierung der Krim, aber vor dem Beginn des Angriffskriegs.

Der Roman wird aus der Perspektive des Imkers Sergej Sergejitsch erzählt. Er lebt in einem fast verlassenen Dorf im Donbass, in der sogenannten grauen Zone. Diese Zone liegt im Zwischenraum der Frontlinien der ukrainischen und der separatistischen (also prorussischen) Stellungen im Kampf um die Errichtung unabhängiger „Volksrepubliken“ in Donezk und Lugansk. Ja, die Begleitumstände musste ich erstmal googeln.

Der 49jährige Frührentner Sergej hat ein geradezu zärtliches Verhältnis zu seinen sechs Bienenvölkern. Außer ihnen lebt nur noch der gleichaltrige Paschka im Dorf, den Sergej zwar eigentlich nie mochte, der aber sein einziger menschlicher Kontakt ist, nachdem die restlichen Dorfbewohner wegen der Kampfhandlungen geflohen sind. Sergej empfindet so viel Verantwortung für seine Bienen, die durch den Beschuss verwirrt werden könnten, dass er sie nach Anbrechen des Frühlings auf den Anhänger seines klapprigen Autos lädt und über die Grenze in die Ukraine fährt, um sie dort fliegen zu lassen. Später fährt er weiter auf die Krim, um mit den Bienen dort den Sommer zu verbringen.

„Denn er war für seine Gesundheit verantwortlich, nicht nur für sich selbst, sondern auch den Bienen gegenüber! Wenn ihm etwas zustieß, dann starben sie in ihrer ganzen großen Zahl, und schuld am Tod von Hunderttausenden Bienen, sei es auch unfreiwillig, durfte er auf keinen Fall werden. Diese Sünde, diese Last würde ihn auch nach dem Tod noch dort einholen, wo immer er sich dann nach seinem letzten Atemzug befand!“ (S. 54)

Kurkow beschreibt Sergejs Leben detailreich und empathisch, so dass man sich gut vorstellen kann, was es für einen Einzelnen bedeutet, in der grauen Zone und den übrigen beschriebenen Regionen der Ukraine zu leben. Sergej möchte sich politisch heraushalten, ihn interessieren nur seine Bienen und sein Alltag. Dennoch prägt der Krieg natürlich das gesamte Leben. Da ist einmal das Dorf, das gelegentliche Einschläge bekommt, wo es keinen Strom und keine Waren mehr gibt, wo Rente und Post nicht mehr ausgegeben werden. Das Dorf ist umgeben von diversen Personen, von denen man meist nicht so recht weiß, zu welcher Seite sie gehören. Neben Soldaten der Ukraine und der Separatisten scheint es noch eine dritte Kraft zu geben. Ganz anders ist das Leben weiter westlich in der Ukraine, wo die Menschen keine Kampfhandlungen erleiden, aber argwöhnisch darauf schauen, mit wem Sergej wohl politisch sympathisieren mag. Wieder völlig anders ist es auf der Krim, die Sergej nur nach Durchlaufen russischer Einreiseformalitäten betreten darf. Dort wird das Problem der Krimtataren angesprochen, da Sergej einen Freund besuchen möchte, der Tatare und Imker ist.

Kurkows Stil ist teilweise wunderbar poetisch, etwa wenn Sergej über die Stille oder das Grau, das gar nicht trist sein muss, nachdenkt. Er erklärt die politischen Verhältnisse der Geschichte an keiner Stelle, sondern berichtet eher nebensächlich von deren Auswirkungen. Das hat mich oft zum Nachlesen angeregt, so dass ich viel gelernt habe über den Konflikt. Dieser wird aber stets auf der ganz persönlichen Ebene erzählt. Das fand ich sehr gelungen. Und aus diesem Grund kommt der Roman in keiner Weise belehrend daher. Er ergreift nicht Partei, sondern beschreibt nur, und das aus Sicht eines eher einfachen Mannes. Der Roman ist spannend, man weiß nie, auf welche Hindernisse Sergej als nächstes treffen und wohin es ihn danach verschlagen wird.

Graue Bienen ist ein feinfühliger Roman, spannend und empathisch, der mich unterhalten hat und aus dem ich gleichzeitig viel gelernt habe. Der allgegenwärtige Krieg kommt als Kampf kaum vor, wird nur indirekt thematisiert, was das Lesen leichter macht. Ich kann das Buch jedem empfehlen, der sich mit dem Ukrainekonflikt beschäftigen möchte und dabei doch eine ganz persönliche Geschichte lesen möchte.

 

Graue Bienen, Andrej Kurkow, aus dem Russischen übersetzt von Johanna Marx und Sabine Grebing, Diogenes Verlag, Zürich, 2021, 448 Seiten, 15,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)

Montag, 28. August 2023

Kalmann und der schlafende Berg, Joachim B. Schmidt

Kalmann, der „Sheriff von Raufarhöfn“ ist zurück! Der schrullige Isländer gerät mal wieder ganz unversehens in einen Kriminalfall hinein. Dabei hat alles so harmlos angefangen, mit Familienangelegenheiten. Kalmanns geliebter Großvater ist im Altersheim verstorben. Kein Wunder, denken alle, er war ja schon über achtzig und etwas dement. Dass er kurz vor seinem Tod plötzlich ein paar Brocken Russisch raushaut, wer weiß, was sein Hirn da gemacht hat. Aber kann doch passieren. Noi, Kalmanns Internetfreund, ist da ganz anderer Ansicht. Man könne einen Mord nicht ausschließen, meint er. Ist das Spinnerei?

Kalmanns Ami-Vater, an den er keine Erinnerung hat, meldet sich überraschend und lädt Kalmann ganz allein zu einem Besuch in die USA ein. Ohne seine Mutter! Da Kalmann dringend den Daddy und seine Halbschwestern kennenlernen möchte, macht er sich auf die Reise. Er denkt sich nicht viel dabei, als sein Vater ihn im Januar mitnimmt auf eine Fahrt in die Hauptstadt Washington. Und das Q auf dem Schild des Vaters steht mit Sicherheit für dessen Vornamen Quentin. So scheinen allerdings noch viele andere Männer zu heißen, die sich in Washington eingefunden haben. Und so macht Kalmann Bekanntschaft mit einer echt süßen FBI-Frau.

„Ich wünschte, mein Vater hätte mir diesen Brief nie geschrieben. (…) Wenn mein Vater diesen Brief nie geschrieben hätte, dann hätten mir die FBI-Beamten nicht den Arm verdreht und mein Gesicht auf die Motorhaube des schwarzen Cherokee-Jeeps geknallt. Und das Silvesterfeuerwerk in Raufarhöfn hätte ich auch nicht verpasst. (…) Hatte ich geschrien? Oder war ich stumm geblieben? Ich hasse es, wenn mein Verstand einen Taucher macht wie ein Schiff hinter einer Monsterwelle.“ (S. 9)

Zwischen Island und Amerika kann kein Fall ohne Kalmann gelöst werden. Tapsig und mit bestechender Direktheit mischt er einige Dörfer und Familienangelegenheiten auf. Ich habe geschmunzelt und mich blendend unterhalten, obwohl ich eigentlich keine Krimis lese. Ist auch eigentlich kein richtiger Krimi, obwohl jemand tot ist. Eher ein Roman, in dem etwas aufgedeckt wird. Lustig in jedem Falle. Kalmanns Herz schlägt auf dem rechten Fleck, so dass ich ihm auch im zweiten Band seiner Abenteuer gern gefolgt bin.

Eingebettet in Pandemie und US-Wahl liest sich diese Geschichte locker weg und ist viel leichter, als die Themen vermuten lassen. Kalmann und die unaussprechlichen isländischen Ortsnamen lassen kein Auge trocken. Gute Unterhaltung!

Kalmann und der schlafende Berg, Joachim B. Schmidt, Diogenes Verlag, Zürich 2023, 302 Seiten, 24,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)

_______________________________________________________

Zusatzinformation:

Meine Rezension zum ersten Band "Kalmann" gibt es hier.

Grimm und Möhrchen – Ein Möhrchen im Gemüsebett, Stephanie Schneider

Ein Bilderbuch von Grimm und Möhrchen! Drei Geschichtenbände von dem kleinen Zesel Möhrchen und Buchhändler Grimm gibt es schon, nun kommt...