Samstag und Sonntag (19./20. Oktober) waren die
Publikumstage der Messe, wo also jeder, der mag kommen darf.
Die Messe in Zahlen
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Messestand des Verlags Kein & Aber |
Es war meine dritte Frankfurter Buchmesse – ich habe das
Gelände am Samstag noch nie so schwarz vor Menschen gesehen! Samstag ist immer
der besucherstärkste Tag, aber diesmal hatte die Messe tatsächlich ein
deutliches Besucherplus zu verzeichnen. 9,2 % mehr Menschen kamen am Wochenende,
immerhin 1,8 % mehr an den Fachbesuchertagen. Über 302.000 Besucher waren
insgesamt auf der Messe. Da soll noch einer sagen, die Leute interessierten
sich nicht mehr fürs Lesen! 7.450 Aussteller aus 104 Ländern präsentierten ihr
Angebot. Allein in Deutschland erscheinen pro Jahr ca. 70.000 neue Bücher.
Außerhalb des Messegeländes gab es schon die ganze Woche über
weitere Veranstaltungen und Lesungen für jedermann, das BOOKFEST. Auch dieses
verzeichnete 25.000 BesucherInnen.
So schön das Interesse am Buchmarkt, so anstrengend ist aber
auch das Publikumswochenende. Lange Schlangen an Damentoiletten und
Essensständen, Stillstand in den Gängen, insbesondere in Hallen 3 und 4. Wer
kann, kommt lieber an den Fachbesuchertagen, um entspannt an den Ständen zu
stöbern. Zur Entzerrung hatte die Messe draußen neben Halle 1 dieses Jahr ein
neues Bühnenareal aufgebaut. Das wurde durch den anhaltenden Regen leider etwas
beeinträchtigt.
Erste Literaturgala
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Elif Shafak |
Die Messe wartete dieses Jahr mit einem neuen Abendformat
auf, einer Literaturgala im Congress Center neben dem Messegelände. Die Tickets
waren allgemein verkäuflich, mussten aber zusätzlich zum Messeeintritt erworben
werden. Ich kam in den Genuss einer kostenlosen Pressekarte. Warum der Saal nicht ausverkauft war, ist mir unbegreiflich.
Die Veranstaltung war sehr hochkarätig besetzt und wirklich
ein Genuss! Begeistert moderiert von den Journalisten Bärbel Schäfer und Thomas
Böhm traten AutorInnen von Weltklasse auf – dabei kein/e deutsche/r
SchriftstellerIn. Vielleicht haben wir keine solchen Stars. Egal.
Den Anfang machte die türkische Autorin Elif Shafak mit
ihrem aktuellen Roman „Unerhörte Stimmen“. Shafak berichtete, dass sie sich in
ihren Büchern bemühe, die Stimmen der Ungehörten hörbar zu machen, insbesondere
die der Frauen. Ausgangspunkt ihres Romans ist die wissenschaftliche
Erkenntnis, dass Menschen im Sterbeprozess nach Aussetzen von Atmung und
Herzschlag noch etwa 10 Minuten Bewusstsein und Hirntätigkeit haben können. Und
so berichtet eine ermordete Sexarbeiterin von ihrer Geschichte, während ihr
bewusst ist, dass sie bereits tot ist und ihr Herz nicht mehr schlägt. Skurrile
Idee, klingt aber sehr spannend. Aufgrund ihrer gesellschaftskritischen Texte und
der Reaktionen darauf in der Türkei lebt Shafak inzwischen in London.
Nach dem Interview folgte jeweils eine Lesung aus dem
aktuellen Buch des Gastes auf Deutsch. Sehr gekonnt und engagiert las die
Schauspielerin und Hörbuchsprecherin Nina Petri.
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Colson Whitehead |
Sodann folgte der mehrfach preisgekrönte (u.a. Pulitzerpreis
2017) US-amerikanische Schriftsteller Colson Whitehead mit seinem Roman „Die
Nickel Boys“. Sein Roman spielt in den 1960er Jahren und berichtet über das
Schicksal eines schwarzen Jugendlichen, der in die „Nickel Academy“, eine Besserungsanstalt
eingewiesen wird. Reales Vorbild dieser Einrichtung ist die „Dozier School for
Boys“ in Florida, die von 1900 bis 2011 betrieben wurde. Whitehead berichtete
von seiner Bestürzung über die Zustände in dieser Einrichtung, die ihn zum
Schreiben veranlasst hätten. Die Anstalt war bereits kurz nach ihrer Eröffnung
und seitdem immer wieder in die Kritik geraten aufgrund der körperlichen und
seelischen Misshandlungen, insbesondere gegen schwarze Jugendliche. Nach
Schließung der Einrichtung wurden diverse unmarkierte Gräber auf dem Gelände
gefunden, in denen sich erschossene und anderweitig gewaltsam zu Tode gebrachte
Insassen befanden.
Die deutsche Lesung wurde von einem besonderen Whitehead-Fan
vorgetragen, dem Punkrocker Bela B. von den Ärzten. Rührend war der Moment, als
Bela sich auf die Couch direkt neben sein Idol setze, ihm ein paar Fragen
stellen und seine Verehrung mitteilen durfte. Ein Rocker mit weichem Herz!
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Maja Lunde |
Der nächste Gast war die Norwegerin Maja Lunde, bekannt
durch „Die Geschichte der Bienen“, die ihren gerade erschienenen Roman „Die
letzten ihrer Art“ mitbrachte. Es ist das dritte Buch in ihrem Umweltquartett.
Nach den Bienen und dem Wasser widmet sich Lunde im neuen Buch dem Aussterben
einer besonderen mongolischen Pferderasse, die mit vereinten Kräften gerade
noch verhindert werden kann. Sie wies auf das derzeitige Massenartensterben hin
und rief dazu auf, Tiere nicht aufgrund ihres Nutzens für den Menschen zu
beurteilen, sondern als Wert um ihrer selbst willen. Sie schreibe Romane über
Umweltthemen, da Sachbücher nur den Intellekt, Literatur aber die Seele
erreichten. So sei ein Umdenken vielleicht eher möglich. (Den Roman werde ich
in Kürze auf diesem Blog rezensieren.)
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Ken Follet liest |
Schlag auf Schlag folgte das britische Urgestein Ken Follet
(„Die Säulen der Erde“). Dieser trug selbst einen kurzen aktuellen Text auf
Englisch vor. Im Übrigen wies er auf die „Friendship Tour“ hin, die er mit
mehreren anderen AutorInnen alsbald beginnen werde. Er wolle vermeiden, dass Leserinnen
und Leser aufgrund des Brexits dächten, die Briten schauten auf sie herab, weil
sie dem europäischen Club nicht mehr angehören wollten. Auf der Tour solle
nicht über Politik, sondern nur über Literatur gesprochen werden. Die Botschaft
sei schlicht: „We still love you!“ Follets Fans feierten ihn mit regem Applaus.
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Margaret Atwood |
Last but not least betrat die unvergleichliche Margaret
Atwood die Bühne. Ihr Roman „Die Zeuginnen“, Fortsetzung von „Der Report der
Magd“ hat gerade den Booker Prize 2019 gewonnen. Erst im letzten Jahr war sie
mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. Die
Kanadierin, die in wenigen Wochen ihren 80. Geburtstag feiern wird, war der
absolute Star des Abends. Schlagfertig und witzig sprach sie im Interview über
das neue Buch und die Lage der Welt. Sie habe sich nach so vielen Jahren zum
Schreiben einer Fortsetzung des „Reports der Magd“ entschlossen, weil die veränderten
gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse es erfordert hätten. Wer wisse
schon, wie lange Menschen noch in der Lage seien zu lesen, Bücher besäßen oder
die Welt überhaupt noch existiere. Da ihr Vater Biologe gewesen sei, habe sie
sich schon seit den 1950er Jahren mit Umweltproblemen wie dem Klimawandel
beschäftigt. Nur habe niemand etwas davon wissen wollen. Sie warnte vor
Leugnern des Klimawandels – deutlicher Seitenhieb auf US-Präsident Donald
Trump, ohne dessen Namen zu nennen. Man dürfe diese nicht wählen. Auch müssten
die Rechte der Frauen verteidigt werden. Dieser tollen Frau könnte ich
stundenlang zuhören. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und spricht in ihrer
herzlichen und klugen Art jedes Thema direkt und treffend an. Man muss sie
einfach lieben.
Fazit: Ich musste
alle anwesenden AutorInnen und alle ihre Bücher (nicht nur die aktuellen) auf
meine Leseliste setzen. Ich bräuchte dann mal die nächsten paar Monate frei.
Zum Schluss
Natürlich hätte es noch sehr viel mehr zu berichten gegeben
von Bloggertreffen, Verlagsvorschauen und wundervollen Kinderbüchern etc. Aber
das würde den Rahmen sprengen. Am Messesamstag habe ich außerdem die Deutsche Nationalbibliothek
in Frankfurt besichtigt. Dieser werde ich in Kürze einen eigenen Artikel
widmen.
Nach der Messe ist vor der Messe. Die nächste Frankfurter
Buchmesse findet vom 14. bis 18. Oktober 2020 statt. Ehrengastland wird dann
Kanada sein.