Donnerstag, 30. Januar 2020

Serpentinen, Bov Bjerg

Ich hatte mich auf das neue Buch von Bov Bjerg schon gefreut, weil mir sein Roman „Auerhaus“ sehr gut gefallen hatte. Dieser Roman ist ganz anders in der Erzählweise und von bedrückender Atmosphäre.


Der Erzähler ist ein Vater von Mitte vierzig. Er befindet sich auf einer Reise mit seinem etwa siebenjährigen Sohn. Was der Sohn nicht weiß und den Vater quält: Der Urgroßvater, der Großvater und der Vater des Vaters haben sich das Leben genommen. Der Vater war sieben, als sein Vater erhängt im Elternhaus gefunden wurde. Der Erzähler fühlt den Sog der Vergangenheit, fragt sich, ob er auch in die Fußstapfen seiner Vorfahren treten muss oder ob es einen Weg gibt, seinem eigenen Sohn das Leben ohne Vater zu ersparen.

Die Selbstmorde sind nicht die einzige Last der Vergangenheit des Vaters, von der wir langsam durch Rückblenden erfahren. Die männlichen Vorfahren waren Alkoholiker, Nazis waren darunter, manche waren im Krieg und sind nicht zurückgekommen. Der Vater sieht keine andere Möglichkeit mit den Dämonen der Vergangenheit fertigzuwerden, als zusammen mit seinem Sohn eine Reise an die Schauplätze dieser belasteten Familiengeschichte anzutreten. Mit ausgeschaltetem Handy und einem Mietwagen sind die beiden unterwegs, ganz heimlich. Sie sehen die Hochzeitskirche der Eltern, den Friedhof, auf dem ein Freund des Vaters liegt und die schwäbische Landschaft mit ihren Gewässern, die eine besondere Bedeutung für den Erzähler haben.

Ich fand das Buch zu Anfang etwas schwer zu lesen. Man sieht Vater und Sohn auf der Reise, spürt gleich, dass etwas nicht ganz in Ordnung zu sein scheint, man hört Gesprächsfetzen, weiß aber nicht, worauf sie sich beziehen. Die Erzählung des gegenwärtigen Geschehens wird immer wieder unterbrochen durch Erinnerungen oder auch Träume des Vaters. Nicht immer geben die Rückblenden die Realität wieder. Manchmal drücken sie Ängste und Befürchtungen aus. Obwohl der Junge fröhlich wirkt und der Vater sich Mühe mit ihm gibt, bleibt eine beklemmende Stimmung, z.B. wenn der Vater bereits am Morgen Dosenbier vor dem Jungen trinkt. Das Ungesagte liegt wie Blei zwischen den Zeilen.

„Ich fragte mich, ob es richtig gewesen war, mit dem Jungen hierherzukommen. Ihm zu zeigen, was von mir und meiner Kindheit noch übrig war.
Dadurch machte ich alles unnötig schwer.
Alles wurde zäh, jede Bewegung, jeder Gedanke. Fette Brocken Lehm klebten an den Schuhen und am Hirn und bremsten alles.
Ich konnte doch nur drum herumreden. Ich musste den Schwarzen Gott von ihm fernhalten, und ich wusste nicht wie.“ (S. 84/85)

Der Erzähler ist ein Fremder in seinem eigenen Leben. Mit Ticks hat er schon als Kind versucht, sein Schicksal zu beeinflussen. Davon ist er bis heute nicht frei. Er möchte seine Verklemmtheit und Traumatisierung nicht an den Sohn weitergeben. Aber wie soll das gelingen? Er hat sein Leben lang versucht, der kleinbürgerlichen Enge zu entfliehen, in der über die Tabus wie die Freitode oder die Kriegsvergangenheit nicht gesprochen werden durfte. Er ist gebildeter als die Eltern, hat den Wahnsinn länger überlebt als sein eigener Vater, ist weggezogen aus der schwäbischen Kleinstadt, hat der Kirche den Rücken gekehrt. Aber die Vergangenheit ist in ihm, er kann sich selbst nicht entfliehen.

Ein nachdenklicher Roman über die Last der Vergangenheit und den Versuch, sich daraus zu befreien. Lesenswert!

Serpentinen, Bov Bjerg, claassen im Ullstein Verlag, Berlin 2020, 272 Seiten, 22,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)

Montag, 27. Januar 2020

Der Hund, der sein Bellen verlor, Eoin Colfer

Eigentlich bin ich keine ausgesprochene Hundeliebhaberin, aber dieses Buch über die Freundschaft zwischen einem jungen Hund und einem Jungen gefällt mir sehr, auch wegen der niedlichen Bilder. Wenn Ihr wissen wollt, was ein Hundeblick ist, der einem das Herz zum Schmelzen bringt, schaut Euch diese filigranen Bleistiftzeichnungen von P. J. Lynch an. So schön!

Die Geschichte beginnt doppelt traurig. Ein Hundewurf wird geboren, die Welpen werden einzeln verkauft, müssen sich also voneinander und von ihrer Mutter trennen. Ein Hund hat es schlecht getroffen, er kommt zu einer Familie, die gar nicht gut zu ihm ist. Sie wissen nicht mit ihm umzugehen, geben ihm schlechtes Futter, tun ihm weh und sperren ihn ein, bis sie ihn schließlich aussetzen. Im Tierheim erblickt Patrick den Hund, der ängstlich und allein in einer Ecke sitzt. Weil der Hund einen weißen Fleck im Fell hat, der an die Form Australiens erinnert, nennt Patrick den Hund Oz. Er nimmt ihn mit nach Hause, obwohl der Tierpfleger ihn gewarnt hat, dass es mit dem Hund schwierig werden würde. Der Hund ist so traumatisiert, dass er nicht einmal mehr bellt.
„Aber man konnte Jungen nicht trauen. Sicher, anfangs lächelten sie viel, aber dann kam im Handumdrehen der Piksfinger. Darum verhielt sich Hund so still, wie er nur konnte, und blieb in seiner Box.
Nach langer Zeit schlief der Junge ein. Hund merkte, dass der Junge wirklich schlief, weil Menschen anders riechen, wenn sie schlafen. Kälter.
Hund streckte die Nase aus der Box und schnüffelte. Der Duft stieg in seine Nase. Er machte ihn zugleich hungrig und satt, er zog ihn stärker als jedes Seil aus der Box und in Richtung dieses Futterdings.“ (S. 53)
Patrick muss sich alle Mühe geben, das Vertrauen des Welpen zu gewinnen, denn Oz hat gelernt, dass die Menschen böse sind. Dazu versucht er eine Menge Tricks, sein Opa und seine Mutter helfen ihm. Patrick verbringt mit seiner Mutter nämlich gerade die Sommerferien bei seinem Opa. Sein Vater ist nicht dabei, er ist Musiker und auf Tournee. Sonst ist er immer wenigstens für kurze Zeit im Sommer zu Opa gekommen, um Zeit mit der Familie zu verbringen. Warum kommt der Vater dieses Jahr nicht? Patrick durfte früher nie einen Hund haben, weil sein Vater eine Hundeallergie hat. Wieso erlaubt seine Mutter es jetzt auf einmal? Sie meint doch sicher nicht, dass Patrick Oz nach den Ferien bei Opa lassen muss?

In dieser Geschichte hilft einerseits Patrick dem Hund, sein Bellen und sein Vertrauen in die Welt wiederzufinden. Andererseits muss Patrick mit einer schwierigen Situation in seiner Familie zurechtkommen, die ihn sehr traurig macht. Zum Schluss trägt Oz dazu bei, Patricks Problem zu lösen.

Kinder und junge Hunde sind eine gute Kombination. Durch die verschiedenen Erzählstränge aus Sicht des Hundes einerseits und des Jungen andererseits geht das Buch über eine niedliche Tiergeschichte weit hinaus.

Der Hund, der sein Bellen verlor, Eoin Colfer, aus dem Englischen von Ingo Herzke, illustriert von P.J. Lynch, Orell Füssli Verlag, Zürich 2019, 144 Seiten, 12,95 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

Sonntag, 26. Januar 2020

Nicht wie ihr, Tonio Schanchinger


Die Buch-Lady liest einen Fußball-Roman? Ernsthaft? Wer mich kennt weiß, dass Sport im Allgemeinen und Fußball im Besonderen eigentlich nicht zu meinen Interessen gehören. Auf „Nicht wie ihr“ bin ich aufmerksam geworden, als es für den Deutschen Buchpreis 2019 nominiert wurde (es kam bis auf die Shortlist) und der junge österreichische Autor auf dem Großen Longlist Abend 2019 in der Hamburger Akademie der Künste aus seinem Debütroman vorgelesen hat. Außerdem bin ich Deutsche und daher mit der „Fußballkultur“ und unserem Nationalsport aufgewachsen. Ich erinnere mich an zahllose Abende in meiner Kindheit, an denen ich mit den männlichen Mitgliedern der Familie vor dem Fernseher saß. Ich wollte dabei sein, und es lief halt Fußball. Egal. Wenn Deutschland in der WM spielt, schaue ich mir auch heute noch mal ein Spiel an. Ein Phänomen sind die „Spielerfrauen“, die man inzwischen auf Instagram als Influenzerinnen sieht. Sie sind auch ein Teil dieser Fußballkultur.

In dem Roman geht es um den österreichischen Profifußballer Ivo Trifunović. Er ist 27, in Wien aufgewachsen und hat bosnische Wurzeln. Ivo spielt in der österreichischen Nationalmannschaft und für einen englischen Proficlub. Er lebt in London mit seiner Frau Jessy und den beiden gemeinsamen kleinen Kindern. Es versteht sich von selbst, dass Ivo Multimillionär ist und fünf PS-starke Autos sein Eigen nennt, darunter einen Aston Martin und einen Bugatti.

Ivo erzählt im Buch von seinem Alltag als Profikicker und reflektiert dabei sein Leben. Seine Tage sind streng durchgetaktet durch Training, Spiele und Treffen mit seinem Agenten. Es wird gezeigt, dass es im Profisport nicht um die Liebe zum Fußball, sondern ums Geldverdienen geht. Das Familienleben hat sich am Sport auszurichten. Jessy organisiert alles mit Hilfe einer Nanny, ist oft mit den Kindern allein und hat obendrein Ivos Launen auszuhalten. Ivo ist mit 27 Jahren als Fußballer nicht mehr jung und muss sich überlegen, was am Ende der Karriere noch kommen kann. Dann ist da noch Mirna, eine frühere Schulkollegin von Ivo, die er plötzlich wiedertrifft. Alte Begehrlichkeiten flammen auf.

„Er muss mit Mirna schlafen und der einzige Abend dafür ist übermorgen nach dem Spiel, wenn er vom ausgeschütteten Adrenalin eh nicht schlafen kann. Er versucht, sich den Zettel mit dem Zeitplan in Erinnerung zu rufen, (…) Er wird ihr das schreiben und er wird ihr schreiben, dass er nicht rauskann, weil ihn niemand sehen darf und dass sie zu ihm ins Hotel kommen soll. Dann liegt die Wahrheit einmal wirklich auf dem Platz und entweder er spielt gut und bekommt den nächsten Tag frei, oder er spielt scheiße und muss Mirna absagen. Oder er bricht sich den Fuß und verliert ein halbes Jahr seines Lebens.“ (S. 35)

Ivo kommt aus einfachen Verhältnissen, hat das Kicken auf der Straße in einem heruntergekommenen Wiener Bezirk gelernt, war ein Niemand und bleibt für viele Österreicher Zeit seines Lebens ein „Ausländer“. Inzwischen ist er einer der wenigen Glücklichen, die es im Profisport geschafft haben, und nun lebt er in einer Welt, die er mit niemandem teilen kann, der nicht selbst ein Teil davon ist. Er ist "nicht wie ihr". Niemand weiß von den Übungen mit dem Kommunikationstrainer des Vereins, der größere Unfälle vor Journalisten vermeiden soll. Oder von der Frustration für einen Topverein zu spielen, dann aber jedes Spiel auf der Bank sitzen zu müssen.

Ich habe diesen Roman gelesen, weil ich wissen wollte, wie so ein Fußballer wohl tickt. Ich muss sagen, die Hauptfigur im Roman deckt sich mit meinen Erwartungen, um nicht zu sagen Befürchtungen. Ivo ist nicht gerade ein Mann der Worte. Die Atmosphäre des Buches ist von einer ständigen unterschwelligen Aggressivität getragen. Mit seiner Wiener Schnauze ist alles, was Ivo nicht gefällt „oasch“ und jeder, den er nicht mag wahlweise ein Hurensohn, ein Lappen oder ein Opfer. Mit seinen Gefühlen kann Ivo meist nicht so gut umgehen, weswegen er am liebsten Leuten „in die Pappn haun“ würde. Das tut er zum Glück meist nicht, sondern setzt sich stattdessen in sein Auto und fährt mit überhöhter Geschwindigkeit ziellos herum, um den Kopf frei zu kriegen. Trotzdem „zuckt“ Ivo öfter aus und schreit herum. Sex und „Geilheit“ stehen ganz oben auf seiner Bedürfnisliste, an seiner Frau gefallen ihm ihre perfekten Brüste. Von den Kindern weiß er wenig, auch wenn er sie sehr liebt. Seinen vier Monate alten Sohn scheint er nicht als Mensch wahrzunehmen, da er davon spricht, dass der irgendwann älter sein wird, so dass er dann (nicht jetzt) einen Sohn haben wird.



Ivos Reflexionen über den alltäglichen Rassismus im Fußball und das Leben an sich bleiben oberflächlich. Die Handlung des Buches erschöpft sich in der Beschreibung des Alltags und der kurzen Affäre mit Mirna. Ivo wirkt wie eine Fussballmaschine, der froh ist, wenn er die Gedanken abstellen und auf Autopilot schalten kann. Mir ist Ivo unsympathisch, ich hätte keine Lust mich mit ihm zu unterhalten. Als Einblick in den Kopf so eines Menschen, mit dessen Lebenswirklichkeit die meine nichts gemeinsam hat, ist das Buch interessant, aber die Story ist für 300 Seiten zu dünn und zog sich zu sehr. Dabei kann ich nicht immer trennen, ob die Langeweile ein Teil des Charakters der Hauptfigur oder dem Schreibstil zuzuschreiben war. Ich kann innerhalb des Romans keine persönliche Entwicklung bei Ivo erkennen. Das dramatische Ende scheint eine Entwicklung anzudeuten, die auf den letzten vier Seiten dann aber gänzlich zurückgedreht wird.

Die Welt des Profifußballs im Roman dargestellt, ist streckenweise interessant, aber insgesamt nicht meine Welt. Möglicherweise ein größerer Genuss für echte Fußballfreunde.

Nicht wie ihr, Tonio Schanchinger, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2019, 304 Seiten, 22,90 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

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