Sonntag, 26. Januar 2020

Nicht wie ihr, Tonio Schanchinger


Die Buch-Lady liest einen Fußball-Roman? Ernsthaft? Wer mich kennt weiß, dass Sport im Allgemeinen und Fußball im Besonderen eigentlich nicht zu meinen Interessen gehören. Auf „Nicht wie ihr“ bin ich aufmerksam geworden, als es für den Deutschen Buchpreis 2019 nominiert wurde (es kam bis auf die Shortlist) und der junge österreichische Autor auf dem Großen Longlist Abend 2019 in der Hamburger Akademie der Künste aus seinem Debütroman vorgelesen hat. Außerdem bin ich Deutsche und daher mit der „Fußballkultur“ und unserem Nationalsport aufgewachsen. Ich erinnere mich an zahllose Abende in meiner Kindheit, an denen ich mit den männlichen Mitgliedern der Familie vor dem Fernseher saß. Ich wollte dabei sein, und es lief halt Fußball. Egal. Wenn Deutschland in der WM spielt, schaue ich mir auch heute noch mal ein Spiel an. Ein Phänomen sind die „Spielerfrauen“, die man inzwischen auf Instagram als Influenzerinnen sieht. Sie sind auch ein Teil dieser Fußballkultur.

In dem Roman geht es um den österreichischen Profifußballer Ivo Trifunović. Er ist 27, in Wien aufgewachsen und hat bosnische Wurzeln. Ivo spielt in der österreichischen Nationalmannschaft und für einen englischen Proficlub. Er lebt in London mit seiner Frau Jessy und den beiden gemeinsamen kleinen Kindern. Es versteht sich von selbst, dass Ivo Multimillionär ist und fünf PS-starke Autos sein Eigen nennt, darunter einen Aston Martin und einen Bugatti.

Ivo erzählt im Buch von seinem Alltag als Profikicker und reflektiert dabei sein Leben. Seine Tage sind streng durchgetaktet durch Training, Spiele und Treffen mit seinem Agenten. Es wird gezeigt, dass es im Profisport nicht um die Liebe zum Fußball, sondern ums Geldverdienen geht. Das Familienleben hat sich am Sport auszurichten. Jessy organisiert alles mit Hilfe einer Nanny, ist oft mit den Kindern allein und hat obendrein Ivos Launen auszuhalten. Ivo ist mit 27 Jahren als Fußballer nicht mehr jung und muss sich überlegen, was am Ende der Karriere noch kommen kann. Dann ist da noch Mirna, eine frühere Schulkollegin von Ivo, die er plötzlich wiedertrifft. Alte Begehrlichkeiten flammen auf.

„Er muss mit Mirna schlafen und der einzige Abend dafür ist übermorgen nach dem Spiel, wenn er vom ausgeschütteten Adrenalin eh nicht schlafen kann. Er versucht, sich den Zettel mit dem Zeitplan in Erinnerung zu rufen, (…) Er wird ihr das schreiben und er wird ihr schreiben, dass er nicht rauskann, weil ihn niemand sehen darf und dass sie zu ihm ins Hotel kommen soll. Dann liegt die Wahrheit einmal wirklich auf dem Platz und entweder er spielt gut und bekommt den nächsten Tag frei, oder er spielt scheiße und muss Mirna absagen. Oder er bricht sich den Fuß und verliert ein halbes Jahr seines Lebens.“ (S. 35)

Ivo kommt aus einfachen Verhältnissen, hat das Kicken auf der Straße in einem heruntergekommenen Wiener Bezirk gelernt, war ein Niemand und bleibt für viele Österreicher Zeit seines Lebens ein „Ausländer“. Inzwischen ist er einer der wenigen Glücklichen, die es im Profisport geschafft haben, und nun lebt er in einer Welt, die er mit niemandem teilen kann, der nicht selbst ein Teil davon ist. Er ist "nicht wie ihr". Niemand weiß von den Übungen mit dem Kommunikationstrainer des Vereins, der größere Unfälle vor Journalisten vermeiden soll. Oder von der Frustration für einen Topverein zu spielen, dann aber jedes Spiel auf der Bank sitzen zu müssen.

Ich habe diesen Roman gelesen, weil ich wissen wollte, wie so ein Fußballer wohl tickt. Ich muss sagen, die Hauptfigur im Roman deckt sich mit meinen Erwartungen, um nicht zu sagen Befürchtungen. Ivo ist nicht gerade ein Mann der Worte. Die Atmosphäre des Buches ist von einer ständigen unterschwelligen Aggressivität getragen. Mit seiner Wiener Schnauze ist alles, was Ivo nicht gefällt „oasch“ und jeder, den er nicht mag wahlweise ein Hurensohn, ein Lappen oder ein Opfer. Mit seinen Gefühlen kann Ivo meist nicht so gut umgehen, weswegen er am liebsten Leuten „in die Pappn haun“ würde. Das tut er zum Glück meist nicht, sondern setzt sich stattdessen in sein Auto und fährt mit überhöhter Geschwindigkeit ziellos herum, um den Kopf frei zu kriegen. Trotzdem „zuckt“ Ivo öfter aus und schreit herum. Sex und „Geilheit“ stehen ganz oben auf seiner Bedürfnisliste, an seiner Frau gefallen ihm ihre perfekten Brüste. Von den Kindern weiß er wenig, auch wenn er sie sehr liebt. Seinen vier Monate alten Sohn scheint er nicht als Mensch wahrzunehmen, da er davon spricht, dass der irgendwann älter sein wird, so dass er dann (nicht jetzt) einen Sohn haben wird.



Ivos Reflexionen über den alltäglichen Rassismus im Fußball und das Leben an sich bleiben oberflächlich. Die Handlung des Buches erschöpft sich in der Beschreibung des Alltags und der kurzen Affäre mit Mirna. Ivo wirkt wie eine Fussballmaschine, der froh ist, wenn er die Gedanken abstellen und auf Autopilot schalten kann. Mir ist Ivo unsympathisch, ich hätte keine Lust mich mit ihm zu unterhalten. Als Einblick in den Kopf so eines Menschen, mit dessen Lebenswirklichkeit die meine nichts gemeinsam hat, ist das Buch interessant, aber die Story ist für 300 Seiten zu dünn und zog sich zu sehr. Dabei kann ich nicht immer trennen, ob die Langeweile ein Teil des Charakters der Hauptfigur oder dem Schreibstil zuzuschreiben war. Ich kann innerhalb des Romans keine persönliche Entwicklung bei Ivo erkennen. Das dramatische Ende scheint eine Entwicklung anzudeuten, die auf den letzten vier Seiten dann aber gänzlich zurückgedreht wird.

Die Welt des Profifußballs im Roman dargestellt, ist streckenweise interessant, aber insgesamt nicht meine Welt. Möglicherweise ein größerer Genuss für echte Fußballfreunde.

Nicht wie ihr, Tonio Schanchinger, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2019, 304 Seiten, 22,90 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

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