Dienstag, 30. August 2022

The Gap – Eine Reiseskizze, Anka Willamowius

The Gap nennt man diesen schmalen Streifen Land, der die silberne Skyline von Sydney vom offenen Meer trennt. Die Lücke, wie ein letztes Atemholen, bevor die unwirtliche Welt beginnt. Schroffe, bräunliche Klippen, eine Straße, die plötzlich im Kiesknirschen unter meinen Schuhen endet. Tief ist der Abgrund vor mir, der meinen Blick hart auf einem Felsplateau aufschlagen lässt. Mit jeder Woge atmet die Gewalt des Wassers aus und überzieht die Felsbank mit schäumender Flut, bevor sie an der Wand direkt unter mir zerschellt und meterhoch zerspringt in tausend Regenbogentropfen. Salzgeruch, Grassamen und jahrtausendealter Staub liegen in der Luft. An der Klippe neben mir das farbig-verblasste Wappen der „Dunbar“ deren Schiffbruch Unzählige ins nasse Grab hinunterriss. Hinter mir sticht ein oranger Metallpylon wie ein fremdartiges Gewächs aus dem Boden und ins Auge. Er bietet Hilfe an, die Fernsprechleitung, die Lebensmüde aufhalten soll.

Mein Atem folgt dem rollenden Rhythmus der Wellen, der meine Gedanken längst davongetragen hat. So viele zieht es hierher. Versunken verweilen, müde versinken in ewigen Schlaf oder nur schnell Teil der Fototapete im Hintergrund werden wollen die Besucher. Was alle eint ist die Sehnsucht nach Ewigkeit. Verbunden mit allen Wassern der Welt, dem ewigen Kreislauf des Meeres zusehen, das seit Menschengedenken an die Ufer brandet und Seefahrer aus der alten Welt in die neue spült. Wen wundert es, dass mancher gerade diesen Ort wählt, um für immer Teil der Unendlichkeit zu werden mit dem Wunsch, gedankenlos wie die Wogen zu rollen.

So ist diese Lücke der Übergang von einer alten Existenz in eine neue, jeder Besucher wie durch eine salzige Taufe befähigt, seine Welt mit neuen Augen zu sehen auf dieser Insel, die einen ganzen Kontinent umfasst.


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Anka Willamowius, geschrieben im August 2022 im Rahmen eines Workshops zum kreativen Schreiben, Fotos von der Autorin

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