Bereits Ewald Arenz‘ letztes Buch „Alte Sorten“ habe ich sehr gemocht. Deshalb habe ich mich sehr gern an einer Leserunde des Verlags auf Instagram zu seinem aktuellen Roman beteiligt. „Der große Sommer“ ist ein Coming of age-Roman, der offensichtlich autobiografische Züge trägt. Wie der Autor ist die Hauptfigur Friedrich Jahrgang 1965. Der Roman spielt ca. 1980 und nimmt uns mit in die Zeit, als man noch vom Münztelefon aus anrief und eine Adresse auf dem Stadtplan statt im Handy nachschlagen musste.
Friedrich stammt aus einer großen Familie, darf jedoch nicht mit Eltern und Geschwistern in den Sommerurlaub fahren, sondern wird bei den Großeltern einquartiert, um für seine Nachprüfungen in Mathe und Latein zu lernen. Was wie die Hölle klingt, entwickelt sich dennoch zu einem bemerkenswerten Sommer. Zusammen mit seiner Schwester Alma und seinem besten Freund Johann kann Friedrich schwimmen gehen oder den Sonnenuntergang bewundern. Beate, die Friedrich im Schwimmbad kennenlernt, wird seine erste große Liebe.
Es sind die Beziehungen zwischen den einzelnen Charakteren, die diese Geschichte besonders machen. Da ist zum einen die Freundschaft zwischen Friedrich und Johann. Beide lehnen sich gegen spießige Erwachsene und spätfaschistische Lehrer auf. Johann erlebt im Sommer einen Schicksalsschlag. Die Geschwisterbeziehung zwischen Frieder und Alma ist ausgesprochen eng und herzlich. Die beiden verstehen sich ohne Worte. Das kann ein Einzelkind manchmal kaum nachvollziehen.
Von besonderem Schlag sind Frieders Großeltern. Die Großmutter ist Künstlerin und eine warmherzige, verständnisvolle Frau. So eine Oma hätte jeder gerne! Ihr Mann ist nicht der Vater von Frieders Mutter, sondern der Stiefvater. Für seine strenge, verschlossene Art wird er von vielen Familienmitgliedern gefürchtet. Er ist ein Ausbund an Pflichtbewusstsein und Bildungsbürgertum. Beiden Großeltern kommt Frieder durch seinen Ferienaufenthalt näher und erfährt dabei viel Neues über die Familiengeschichte.
Der Roman ist geprägt von der Sehnsucht, die so typisch ist für die Teenagerjahre. Frieders Gedanken kreisen um die Themen Brasilien, Beate und Berühmtheit. Brasilien steht für die große weite Welt, die Frieder bereisen möchte. Von Beate möchte er geliebt und begehrt werden, erlebt aber die Unsicherheit, die mit allen ersten Malen verbunden ist. Und wer würde nicht gern berühmt werden, z.B. als Rocksänger?
„Das Sri Sri der Mauersegler schnitt das Licht dieses Sommertags in hellgelbe, aufregend saure Zitronenscheiben und ich dachte, man müsste draußen sein und nicht hier drin neben dem Fenster sitzen. Draußen, jenseits des Flusses sein, und dann würde man nach Norden gehen, wo das Meer lag und man sich nach Südamerika einschiffen konnte.“ (S. 5)
Wie schon der Vorgängerroman überzeugt auch dieser durch seine atmosphärische Sprache. Originelle Naturbeschreibungen und Hinweise auf das Alltagsgefühl der 1980er Jahre lassen die Leserin eintauchen in Frieders Welt. Meine eigene Schulzeit in den 80ern stand mir sofort wieder vor Augen. Ich hatte den leicht muffigen Geruch von Telefonbüchern aus der gelben Zelle in der Nase. Feinfühlich beschreibt Ewald Arenz seine Figuren, die er alle sehr gern zu haben scheint, und gibt ihnen dadurch viel Tiefe und Authentizität. Es ist ein Wohlfühlbuch über den Sommer, dessen Handlung aber weder vorhersehbar, noch platt ist. Ich würde gerne noch viele weitere Bücher dieses sensiblen Autors lesen!
Ein Sommerroman für alle Jahreszeiten mit sympathischen Charakteren, Liebe und Lebensweisheit, erzählt in wunderschönen Worten, die einen beim Lesen streicheln wie ein Sommerwind.
Der große Sommer, Ewald Arenz, DuMont Verlag, Köln 2021, 320 Seiten, 20,00 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)
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