Freitag, 16. April 2021

Fang den Hasen, Lana Bastašić

Einen Hasen kann man nicht so leicht einfangen. Ebenso schwierig ist es, diesen Roman von Lana Bastašić zu beschreiben und ihm gerecht zu werden, so vielschichtig und komplex ist er. Die in Bosnien aufgewachsene Autorin (Jahrgang 1986) beschreibt auf mehreren Zeitebenen das Jugoslawien vor dem Krieg sowie das heutige, vom Krieg noch gezeichnete Bosnien, jedoch ohne den Krieg auch nur einmal zu erwähnen. Eine weibliche Coming of age-Geschichte in einem Road Trip erzählt die Autorin anhand der Freundschaft der beiden ungleichen jungen Frauen Sara und Lejla. Beide sind zusammen aufgewachsen. Doch zu einem bestimmten Zeitpunkt änderte sich etwas, vor allem für Lejla. Sara war die Tochter des örtlichen Polizeichefs, Lejla musste ihren Namen ändern in Lela, damit er nach einer anderen Ethnie klang.

Nach zwölf Jahren Funkstille zwischen den beiden bittet Lejla, die immer noch in Bosnien lebt, Sara darum, sie in Mostar abzuholen. Sie müsse nach Wien, dort sei ihr verschwundener Bruder. Sara ist zuerst nicht begeistert. Sie lebt inzwischen in Dublin, weit weg von den Orten ihrer Kindheit. Aber aus alter Verbundenheit kommt sie Lejlas Wunsch nach und macht sich mit ihr im Auto auf den Weg. An dieser Stelle wird deutlich, warum dem Roman ein Zitat aus „Alice im Wunderland“ vorangestellt ist. Sara fällt wie in das Kaninchenloch hinein in eine nicht ganz reale Welt. Sie tauscht mit Lejla Kindheitserinnerungen aus. Beide scheinen sich aber nie einig darüber zu sein, wie die Dinge wirklich gewesen sind. Sie kommen real und in ihren Erzählungen an alte Orte der Kindheit und Jugend zurück. Aber diese erscheinen seltsam verwandelt. Wie Alice im Wunderland wird den Frauen ständig indirekt die Frage gestellt, woher sie kommen und wer sie sind.

„Sie [Lejla] würde nicht mal etwas sagen, nur mit den Augen würde sie mir Europa ausziehen wie einer Neureichen den Pelzmantel und die Narben des Balkans schamlos an die Öffentlichkeit zerren.“ (S. 38)

Es ist keine sehr harmonische Reise. Die Erzählerin Sara reibt sich an ihrer Vorstellung von Lejla, an Schuldgefühlen, aber auch an ihren Illusionen und Träumen, denen sie nachgejagt ist wie einem Hasen, die sich aber schwer fassen lassen. Eine Reifung setzt ein. 

„Wir sind immer in Bosnien.“ (S. 275)

Der eigenen Herkunft kann niemand entfliehen, egal wo er hingeht.

Der Roman ist ein sprachliches Kunstwerk. Die bildreiche Sprache schafft eine dichte Atmosphäre voll gelungener Metaphern. Wahrscheinlich sind mir trotz langem Nachdenken über das Gelesene und Diskussion mit anderen noch etliche Referenzen und Bedeutungsebenen entgangen. Dieses Buch muss man einfach mehrmals lesen, um es voll und ganz zu genießen.

Ein sprachlich und inhaltlich virtuos komponiertes Buch, das sich mit Tiefgang der Seele zweier interessanter Frauencharaktere vor dem Hintergrund Bosniens widmet. Ein wundervolles, großes Stück Literatur!

Fang den Hasen, Lana Bastašić, aus dem Bosnischen übersetzt von Rebekka Zeinzinger, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021, 336 Seiten, 22,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

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