Samstag, 13. Juli 2019

Washington Black, Esi Edugyan


Barbados, 1830, ist eine britische Kolonie. Auf einer Zuckerrohrplantage wird die Arbeit unter brutalsten Bedingungen von schwarzen Sklaven getan. Einer von ihnen ist der etwa elfjährige Erzähler der Geschichte, der vom Plantagenbesitzer den Namen George Washington Black erhalten hat. Wash weiß nicht genau wie alt er ist, wo er geboren wurde und wer seine Eltern sind. Seit er sich erinnern kann, hat er schwerste Feldarbeit geleistet und auf dem Boden in einer der Hütten geschlafen, so wie alle. Die Sklaven werden von den weißen Aufsehern so schlecht behandelt und willkürlich umgebracht, dass Selbstmorde an der Tagesordnung sind.

Eines Tages taucht der Bruder des Plantagenbesitzers auf, genannt Titch. Er macht wissenschaftliche Experimente und will einen Flugapparat bauen, mit dem man sogar den Atlantik überqueren kann. Titch bittet seinen Bruder um Zuteilung einiger Sklaven, die ihm beim Bau dieses Luftschiffs helfen sollen. Darunter ist auch Wash, den Titch aufgrund seines Gewichts und seiner Größe aussucht, als Ballast für den „Cloud-Cutter“. Wash wird Titchs Assistent. Er ist zunächst erschreckt von dessen Freundlichkeit ihm gegenüber. So etwas kennt er nicht, es macht ihn misstrauisch. Ein furchtbarer Unfall geschieht. Und ein Selbstmord. Titch setzt mit Wash und dem Cloud-Cutter zum großen Flug an.

All das ist nur der Anfang dieser sehr komplexen Geschichte, die ständig neue, überraschende Wendungen nimmt. Von Barbados aus gelangt Washington nach Nordamerika, in die Arktis, nach England und diverse andere Orte. Er ist ein Kind ohne Wurzeln, der das Leben nehmen muss, wie es gerade kommt. Er hat sich anzupassen an immer neue, unbekannte Welten und Menschen, muss dankbar sein, dass er überlebt. Er nutzt seine Talente und wachen Sinne, die er trotz fehlender Bildung hat. Vor allem kann er zeichnen, die Natur lebensnah abbilden. Als er ein junger Mann geworden ist, treibt ihn die Frage nach seiner Herkunft um. Er hat Fragen darüber, wieso bestimmte Dinge so gekommen sind und geht ihnen nach. Denn ohne Antworten kann er keine Wurzeln schlagen, sich nirgendwo zuhause fühlen.

„Do it frighten you? she whispered, where we lay in the hut, “To be dying?”
“Not if it don’t frighten you,” I said bravely. I could feel her arm draped protectively over me in the dark.
She grunted, a long rumble in her chest. “If you dead, you wake up again in your homeland. You wake up free.” (…)
“What it like, Kit? Free?“ (…)
„Oh, child, it like nothing in this world. When you free, you can do anything.“
“You go wherever it is you wanting?”
“You go wherever it is you wanting. You wake up any time you wanting. When you free,” she whispered, “someone ask you a question, you ain’t got to answer. You ain’t got to finish no job you don’t want to finish. You just leave it.” (S. 8/9)

Der Roman erzählt die Geschichte der Sklaverei auf sehr unmittelbare Weise. An Washs Schicksal wird erkennbar, welche schrecklichen Wirkungen die Sklaverei auf den einzelnen Menschen hat, und zwar auch dann noch, als Wash schon nicht mehr unter der Herrschaft des grausamen Plantagenbesitzers lebt. Er bewegt sich in einer Welt von Weißen, die ihn nie als ein gleichwertiges Gegenüber sehen, selbst wenn sie freundlich zu ihm sind, was selten genug vorkommt. Die Erzählweise ist sehr sinnlich. Wash beschreibt, was er unter seinen nackten Füßen spürt und vor allem die Gerüche der seltsamen Orte, an die es ihn verschlägt. Seine Erinnerungen bestehen aus lebendigen Bildern, die ihm immer wieder vor Augen stehen, manchmal qualvoll deutlich. Es ist eine Geschichte über Herkunft und Identität. Wash glaubt, dass diese Fragen für die Weißen mit ihren Herrenhäusern und Familien in der alten Heimat England so viel leichter zu beantworten sein müssten. Ob das wirklich so ist, erforscht er nach und nach.

Das wunderschön gestaltete Buchcover mit dem Cloud-Cutter inmitten goldener Wolken gibt einen Eindruck davon, dass die Weißen sich manchmal Luftschlösser bauen und nicht ganz auf dem Boden der Realität wandeln, wie Washington sie erlebt.

Ein faszinierender Roman, der einen mitnimmt. In wenigen Jahren scheint Washington gleich mehrere Leben durchzumachen.

Washington Black, Esi Edugyan, englischsprachige Ausgabe, Serpent’s Tail Verlag, London 2018, 419 Seiten

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Just Mary, Paola Morpheus

Mit einem Comic macht Maria, die Mutter Gottes, dem lieben Gott und der katholischen Kirche quasi die Hölle heiß. Sie legt den Finger in die...