Stuart Kells ist ein „book-trade historian“, also ein
Historiker mit dem Spezialgebiet Buchgewerbe. Ich wusste gar nicht, dass es so
einen Beruf gibt, bevor ich dieses Buch in die Hände bekam. Der Untertitel „A
Catalogue of Wonders“ klingt vielversprechend. Ich stelle mir den australischen
Autor vor, wie er mit glänzenden Augen durch die Bibliotheken streift, die er
beschreibt. Leider ist der Inhalt dieses Buches weniger glänzend, sondern
zuweilen staubtrocken und viel zu zahlenlastig.
Das Buch widmet sich in 15 Kapiteln jeweils einem historischen
Spezialthema aus dem Gebiet der Bibliotheken. Ungewöhnlich und daher besonders
interessant ist gleich das erste Kapitel, „A Library with No Books – Oral traditions
and the songlines“. Hier wird der Begriff der Bibliothek besonders weit
verstanden als Sammlung von Texten, Geschichten und Traditionen. Diese
Sammlungen haben eine Tradition, die bedeutend älter ist als die Schrift. Die
Ureinwohner Australiens, die Aborigines, haben ihre Texte über Jahrtausende
mündlich überliefert in den sog. Songlines, das sind Gesänge, deren Texte eng
mit dem Land, das ein Stamm bewohnte, verknüpft war. Auch andere Völker blicken
auf ähnliche mündliche Überlieferungen zurück. Dieses Verständnis einer Bibliothek finde ich
sehr originell.
„If a library can be something as simple as an organsied collection of texts, then libraries massively pre-date books in the history of culture. Every country has a tradition of legends, parables, riddles, myths and chants that existed long before they were written down. Warehoused as memories, these texts passed from generation to generation through dance, gesture and word of mouth. (…) Perhaps the oldest oral library in the world was formed over a span of tens of thousands of years in the arid lands of central Australia.” (S. 11/12)
Mehrere weitere Kapitel beschäftigen sich mit der Geschichte
einzelner bedeutender Bibliotheken, beispielsweise der sagenumwobenen
Bibliothek von Alexandria, der Vatikanbibliothek, der Pierpont Morgan Library
und der Folger Shakespeare Library. Insbesondere die letzten beiden waren mir
zuvor nicht bekannt (beide in den USA). Die Kapitel befassen sich damit, wie
deren Bestand im Einzelnen erworben und finanziert wurde. Spätestens da bin ich
ausgestiegen. Leider verfügt das Buch über keinerlei Abbildungen der wunderschönen Bibliotheken, von denen im Text die Rede ist.
Es gibt ferner Kapitel über skurrile Bibliothekare,
Bibliotheken, die dem Feuer zum Opfer gefallen sind, den verbreiteten Diebstahl
aus Bibliotheken und die Historie des Buchdrucks – von der Tontafel mit
Keilschrift über Schriftrollen bis hin zum Taschenbuch. Ein Kapitel befasst
sich mit der Architektur von Bibliotheken und eines mit fiktionalen
Bibliotheken, etwa der Klosterbibliothek in Umberto Ecos „Der Name der Rose“
oder den Hobbit-Bibliotheken in „Der Herr der Ringe“.
Das Thema dieses Buches ist zweifellos interessant. Der Stil
ist leider wenig unterhaltsam. Alberto Manguel hat diverse Bücher zu ähnlich
speziellen Themen verfasst. Ihm gelingt es jedoch, historische Details im
Anekdotenstil locker zu erzählen, während das vorliegende Buch zu
detailverliebt und trocken daher kommt. Man muss schon ein „book-trade
historian“ sein, damit einen interessiert, welcher namentlich genannte Herr bei
welcher Auktion in welchem Jahr welche exakt genannte Zahl von Büchern oder
Manuskripten (getrennt gezählt nach verschiedenen Sprachen) zu welchem Preis erworben
hat und welche seltenen Exemplare in welcher Ausgabe in welchem Zustand darunter
waren. Mit derlei Daten wird der Leser leider allzu oft beglückt, was das Lesen
beschwerlich macht.
Ein streckenweise
interessantes Buch, das jedoch nur wirklich detailverliebten Buchhistorikern
mit Vorwissen Freude machen wird. So trocken wie der Staub eines seit hundert
Jahren ungelesenen Buches.
The Library, Stuart Kells (englischsprachige Ausgabe), The Text
Publishing Company, Melbourne/Australien
2017, 278 Seiten
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