Freitag, 24. Mai 2019

The Library, Stuart Kells


Stuart Kells ist ein „book-trade historian“, also ein Historiker mit dem Spezialgebiet Buchgewerbe. Ich wusste gar nicht, dass es so einen Beruf gibt, bevor ich dieses Buch in die Hände bekam. Der Untertitel „A Catalogue of Wonders“ klingt vielversprechend. Ich stelle mir den australischen Autor vor, wie er mit glänzenden Augen durch die Bibliotheken streift, die er beschreibt. Leider ist der Inhalt dieses Buches weniger glänzend, sondern zuweilen staubtrocken und viel zu zahlenlastig.

Das Buch widmet sich in 15 Kapiteln jeweils einem historischen Spezialthema aus dem Gebiet der Bibliotheken. Ungewöhnlich und daher besonders interessant ist gleich das erste Kapitel, „A Library with No Books – Oral traditions and the songlines“. Hier wird der Begriff der Bibliothek besonders weit verstanden als Sammlung von Texten, Geschichten und Traditionen. Diese Sammlungen haben eine Tradition, die bedeutend älter ist als die Schrift. Die Ureinwohner Australiens, die Aborigines, haben ihre Texte über Jahrtausende mündlich überliefert in den sog. Songlines, das sind Gesänge, deren Texte eng mit dem Land, das ein Stamm bewohnte, verknüpft war. Auch andere Völker blicken auf ähnliche mündliche Überlieferungen zurück. Dieses Verständnis einer Bibliothek finde ich sehr originell.

„If a library can be something as simple as an organsied collection of texts, then libraries massively pre-date books in the history of culture. Every country has a tradition of legends, parables, riddles, myths and chants that existed long before they were written down. Warehoused as memories, these texts passed from generation to generation through dance, gesture and word of mouth. (…) Perhaps the oldest oral library in the world was formed over a span of tens of thousands of years in the arid lands of central Australia.” (S. 11/12)

Mehrere weitere Kapitel beschäftigen sich mit der Geschichte einzelner bedeutender Bibliotheken, beispielsweise der sagenumwobenen Bibliothek von Alexandria, der Vatikanbibliothek, der Pierpont Morgan Library und der Folger Shakespeare Library. Insbesondere die letzten beiden waren mir zuvor nicht bekannt (beide in den USA). Die Kapitel befassen sich damit, wie deren Bestand im Einzelnen erworben und finanziert wurde. Spätestens da bin ich ausgestiegen. Leider verfügt das Buch über keinerlei Abbildungen der wunderschönen Bibliotheken, von denen im Text die Rede ist.

Es gibt ferner Kapitel über skurrile Bibliothekare, Bibliotheken, die dem Feuer zum Opfer gefallen sind, den verbreiteten Diebstahl aus Bibliotheken und die Historie des Buchdrucks – von der Tontafel mit Keilschrift über Schriftrollen bis hin zum Taschenbuch. Ein Kapitel befasst sich mit der Architektur von Bibliotheken und eines mit fiktionalen Bibliotheken, etwa der Klosterbibliothek in Umberto Ecos „Der Name der Rose“ oder den Hobbit-Bibliotheken in „Der Herr der Ringe“.

Das Thema dieses Buches ist zweifellos interessant. Der Stil ist leider wenig unterhaltsam. Alberto Manguel hat diverse Bücher zu ähnlich speziellen Themen verfasst. Ihm gelingt es jedoch, historische Details im Anekdotenstil locker zu erzählen, während das vorliegende Buch zu detailverliebt und trocken daher kommt. Man muss schon ein „book-trade historian“ sein, damit einen interessiert, welcher namentlich genannte Herr bei welcher Auktion in welchem Jahr welche exakt genannte Zahl von Büchern oder Manuskripten (getrennt gezählt nach verschiedenen Sprachen) zu welchem Preis erworben hat und welche seltenen Exemplare in welcher Ausgabe in welchem Zustand darunter waren. Mit derlei Daten wird der Leser leider allzu oft beglückt, was das Lesen beschwerlich macht.

Ein streckenweise interessantes Buch, das jedoch nur wirklich detailverliebten Buchhistorikern mit Vorwissen Freude machen wird. So trocken wie der Staub eines seit hundert Jahren ungelesenen Buches.

The Library, Stuart Kells (englischsprachige Ausgabe), The Text Publishing Company, Melbourne/Australien 2017, 278 Seiten

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