Samstag, 25. Mai 2019

Tschick, Wolfgang Herrndorf


Mir war aufgefallen, dass ich eine Bildungslücke hatte: Ich hatte Tschick noch nicht gelesen! Bereits 2010 erschienen, schnell zum Bestseller, Kinofilm und inzwischen zur Schullektüre aufgestiegen, war er mir irgendwie durchgerutscht. Nun habe ich mein Versäumnis nachgeholt und bin begeistert.

Der Roman kommt in herrlich schnodderiger Jugendsprache daher, die mir viel Spaß gemacht hat. Ob sie authentisch ist, kann wohl nur jemand beurteilen, der im Jahr 2010 14 Jahre alt war. Es gibt „okaye Ermahnungen“ von jemandem, der „nicht gerade endbescheuert“ ist. (S. 236) Aussprüche wie „Hast du jetzt endgültig den Arsch offen?“ (S. 82) sind da noch das Wenigste.

Der Ich-Erzähler Maik Klingenberg geht in die 8. Klasse in Berlin-Marzahn. Seine Vater ist Bauunternehmer und sehr reich, seine Mutter Alkoholikerin. Beide haben ihre eigenen Sorgen. Maik empfindet sich als feigen Langweiler und wird in der Schule von niemandem beachtet. 

In seine Klasse kommt ein neuer Schüler, ein Russland-Deutscher, dessen Nachnamen Tschichatschow keiner aussprechen kann, weswegen er Tschick genannt wird. Alle finden, Tschick sieht wie ein Asi aus mit seinen Billigklamotten. Und eine Alkoholfahne hat er in der Schule auch. Aber dumm ist er nicht.

Kern der Geschichte ist ein Roadtrip, den Maik zusammen mit Tschick in einem geklauten, kurzgeschlossenen Lada macht. Zwar wissen sie, dass sie in die Walachei wollen (Gibt’s die wirklich?, fragt sich Maik.) Ohne Straßenkarte und unter dem Radar der Polizei, also auf kleinen Landstraßen und Feldwegen unterwegs, gurken die Jungs kreuz und quer durch die ostdeutsche Provinz, manchmal auch quer feldein. Wer wollte nicht mal seinen Namen mit dem Auto in ein Kornfeld schreiben?

Beide lockt das Abenteuer, sie wollen Neues erleben. Das verbotene Autofahren, das Tschick auch Maik beibringt, reizt. Und auf einmal ist das Leben gar nicht mehr so langweilig, wie es zuvor in Marzahn gewesen ist. Eine Menge skurriler Menschen begegnet ihnen, sie machen jede Menge gefährliche Dummheiten – was man als 14-jähriger eben so macht, wenn keiner hinschaut. Und obwohl sie nur einige Tage unterwegs sind, kommen sie verändert – und mit einigen Blessuren – von ihrer Reise zurück. Haben sie nun Mist gebaut oder etwas Tolles erlebt?

„Soll ich’s ihnen noch zeigen?“, fragte er.
„Mach, was du willst!“, schrie ich. Ich war so erleichtert.
Tschick raste auf das Ende der Sackgasse zu, riss das Steuer kurz nach rechts und dann nach links, zog an der Handbremse und machte mitten auf der Straße eine 180˚-Drehung. Ich flog fast aus dem Fenster.
„Klappt nicht immer“, sagte Tschick stolz. „Klappt nicht immer.“ (S. 93)

Der Roman hat Tempo, nicht nur durch die diversen Verfolgungsjagden, sondern auch durch die Gedanken, die Maik durch den Kopf rasen. Man fühlt beim Lesen das Herzklopfen, die Unsicherheit und den Glücksrausch der Geschwindigkeit. Das Buch liest sich schneller, als der verrostete Lada auf der Autobahn beschleunigen kann. Manches in dieser Geschichte tut echt weh. Insgesamt aber ist sie voll positiver Energie und schelmischem Grinsen. Nicht nur für Jugendliche zu empfehlen.

Ein rasanter Roadtrip, der zu Recht Kultstatus erlangt hat. Gib Gas und lies es!

Tschick, Wolfgang Herrndorf, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2012, 254 Seiten, 10,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

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