Mittwoch, 22. Mai 2019

Sommer in Wien, Petra Hartlieb


Ganz frisch erschienen ist der dritte Teil von Petra Hartliebs Reihe über das Kindermädchen Marie, das im Haushalt des Schriftstellers Arthur Schnitzler in Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts arbeitet. Zwar ist die Figur der Marie fiktiv, das Umfeld von Arthur Schnitzler und der Stadt Wien ist indes gut recherchiert und authentisch.

Dieser Roman beginnt im Sommer 1912. Die Schnitzlers fahren in die Sommerfrische. Marie darf zur Betreuung der beiden Kinder Heinrich und Lili mitfahren auf die Insel Brioni, die zum damaligen Zeitpunkt in österreichischer Hand und ein beliebtes Urlaubsziel der bürgerlichen Gesellschaft war. Marie hat noch nie zuvor das Meer gesehen und ist sehr beeindruckt.

Daheim in Wien bleibt allerdings der junge Buchhändler Oskar zurück, den Marie recht gern hat. Oskar ist inzwischen Teilhaber der Buchhandlung des Herrn Stock in der Währinger Strasse. Passenderweise handelt es sich bei der Buchhandlung Stock um ein Vorgängergeschäft des Buchladens der Autorin. (Wie Petra Hartlieb mit ihrem Mann „Hartliebs Bücher“ in Wien gegründet hat, ist nachzulesen in ihrem Bestseller „Meine wundervolle Buchhandlung“, erschienen im DuMont Verlag 2014.)

Oskar ist ein ernstafter junger Mann. Er macht sich Gedanken, was aus seiner Beziehung zu Marie werden soll, da er selbst verwaist ist und nur ein schmales Einkommen hat, während Marie im Haushalt der Schnitzlers lebt, die es gar nicht gern sehen, wenn Oskar auch nur etwas an der Tür abgeben möchte. Eine unerwartete Wendung ergibt sich, die hier nicht verraten werden soll.


"Was ist jetzt eigentlich mit euch zwei? Seid ihr schon verlobt?"
"Nein, das wär ein bisschen früh, oder? So lange kennen wir uns noch gar nicht."
"Schaust noch, ob was Besseres kommt?" Stock lachte und Oskar wurde rot.
"Nein, aber man kann sich doch nur verloben, wenn man eine Familie gründen kann", sagte Oskar und war froh, dass ein Kunde das Geschäft betrat. Solche Gespräche waren ihm unangenehm. (...)
"Vielleicht war es doch ein Fehler, dass du Teilhaber geworden bist. Jetzt kannst nicht mehr weggehen."
Oskar war inzwischen auf eine der hohen Leitern geklettert und versuchte, ein Lexikon in einem der oberen Regale zu verstauen. Mitten in der Bewegung hielt er inne und sagte erschrocken: "Weggehen? Wo soll ich denn hingehen?"
"Na ja, in eine andere Buchhandlung. Wo du mehr verdienst. Vielleicht wäre es besser gewesen, du hättest beim Jakob Gold angeheuert. Der sucht doch immer Mitarbeiter. (...)" (S. 67/68)


Eingestreut in den Roman sind Personen und Umstände der Zeitgeschichte. So begegnet Marie auf Brioni Frau Amalie Zuckerkandl. Diese Dame der Wiener Gesellschaft wurde einst von Gustav Klimt im Gemälde verewigt. Erst kürzlich war das Eigentum an diesem Bild Gegenstand einer Gerichtsentscheidung in Bezug auf eine eventuelle Enteignung unter den Nazis. Ferner spielt die junge Fanni Gold eine Rolle, die bereits im zweiten Band der Reihe aufgetaucht war. Sie hat den Untergang der Titanic nur knapp überlebt und kämpft nun mit den psychischen Folgen des Unglücks.

Das Buch liest sich – wie schon die beiden ersten Teile – sehr flüssig und spannend. Wir betrachten die Wiener Klassengesellschaft des Kaiserreichs durch die Augen der Angestellten und Dienstboten. Marie ist bäuerlicher Herkunft und sich ihrer mangelnden Bildung bewusst. Im Verlauf der Geschichte stellt sich die Frage, welche Bedeutung sie im Haushalt der Schnitzlers hat. Schuldet sie diesen Treue und Dankbarkeit als eine Art Familienmitglied oder ist sie doch nur eine austauschbare Angestellte, deren Namen man schnell vergessen wird? Welchen gesellschaftlichen Platz nimmt eine unverheiratete junge Frau ein, eine Frau überhaupt, in einer Zeit, in der um das Frauenwahlrecht gestritten wird?

Trotz dieser gesellschaftlichen Fragen handelt es sich um einen leichten (aber nicht trivialen) Unterhaltungsroman mit einer schönen Liebesgeschichte, der Lust aufs Reisen macht. Vielleicht auf eine Sommerreise nach Wien?

Eine herrlich leichte Sommerlektüre mit Buchhandlungsambiente. Macht einfach Spaß!

Sommer in Wien, Petra Hartlieb, DuMont Buchverlag, Köln 2019, 176 Seiten, 18,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)


Zusatz-Info:
Die ersten beiden Bände der Reihe sind unter den Titeln „Ein Winter in Wien“ (Kindler Verlag 2016) und „Wenn es Frühling wird in Wien“ (DuMont Verlag 2018) erschienen.

Wer mehr über Arthur Schnitzler erfahren möchte, dem sei Volker Hages Roman „Des Lebens fünfter Akt“ ans Herz gelegt, vgl. meine verlinkte Rezension.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Alles überstanden?, Christian Drosten, Georg Mascolo

Die Corona-Pandemie hat uns alle geprägt, bewegt, zur Verzweiflung gebracht. Mich hat der Podcast von Christian Drosten durch die Pandemie...