Dienstag, 18. Februar 2020

Amy und die geheime Bibliothek, Alan Gratz


Kann man ein Kinderbuch zum Thema Zensur und Meinungsfreiheit schreiben, das dennoch leicht, spannend und lustig daherkommt? Alan Gratz kann! Dazu beruht das Buch auf wahren Umständen bzw. Missständen in den USA (und anderswo), auf die der Autor aufmerksam machen möchte.
 
Amy ist 9 Jahre alt und geht in die 4. Klasse der Grundschule. Sie ist ein Bücherwurm und eher zurückhaltend. Leider ist es schwer für Amy einen ruhigen Platz zum Lesen zu finden, da sie zwei kleinere Schwestern hat. Deshalb ist die Schulbibliothek ihr Lieblingsort, an den sie sich gern zurückzieht. Eines Tages möchte Amy dort ihr Lieblingsbuch zum wiederholten Male ausleihen, als es plötzlich nicht mehr im Regal steht. Die nette Bibliothekarin erklärt Amy, dass der Schulausschuss das Buch „verbannt“ habe. Eine Mutter, die Mitglied des Ausschusses ist, findet das Buch „ungeeignet“ für Schulkinder, da die Hauptperson im Buch lügt und von zuhause wegläuft. Das könnten andere Kinder dann vielleicht nachmachen, meint die Mutter. Amy ist empört! Außerdem wurden auf die gleiche Weise viele andere Bücher aus der Bibliothek entfernt, so dass die Kinder sie nicht mehr lesen können. Und das obwohl die Bibliothekarin dagegen war.

„Ich fühlte mich, als würde sich der Teppich unter meinen Füßen in Treibsand verwandeln. Und ich sank ziemlich schnell. Ich hielt mich an den Bücherregalen fest, um nicht umzukippen. „Aber … das Buch ist nicht ungeeignet! Es ist sehr geeignet! Es ist ein tolles Buch! Es ist mein Lieblingsbuch!“
„Ich weiß, Liebes. Ich bin deiner Meinung. (…)“
Ich konnte nur nicken. Mir war nach Weinen zumute, was dumm war. Es fühlte sich an, als wäre jemand in mein Zimmer gekommen und hätte, ohne zu fragen, alle meine Sachen mitgenommen.“ (S. 12)

Amys Interesse ist geweckt. Was stimmt nicht mit all diesen Büchern? Sie besorgt sich nach und nach Exemplare der verbannten Bücher und liest sie nun erst recht. Ihren Freunden Rebecca und Danny leiht sie die Bücher, die nun ebenfalls wissen wollen, was es damit auf sich hat. Plötzlich haben auch andere Kinder aus Amys Klasse Interesse an diesen Büchern oder vermissen ihr jeweiliges Lieblingsbuch. Da hat Amy eine Idee. Davon darf allerdings die Direktorin der Schule nichts mitbekommen. Amy und ihre beiden Freunde bauen eine geheime Bibliothek auf. Ob das lange gut geht? Außerdem überlegen sie, ob man nicht den Schulausschuss davon überzeugen könnte, dass die Bücher gar keine Gefahr für Kinder sind. Leider traut sich Amy nicht Erwachsenen Widerworte zu geben und sich für ihre Meinung stark zu machen.

In diesem äußerst pfiffigen Buch mit vielen liebenswerten Charakteren wird die Freude am Lesen gefeiert, aber auch die Bedeutung der Freiheit sich seinen Lesestoff selbst auszusuchen. Es ist Teil der Meinungsfreiheit ein Buch gut oder schlecht zu finden. Die Bedeutung des freien Zugangs zu Bibliotheken wird ebenso thematisiert wie die Konsequenzen für den einzelnen, der seine (unbequeme) Meinung offen äußert. Nach und nach fasst Amy mehr Mut und merkt, dass Erwachsene nicht immer rechthaben. Sie lernt für sich einzutreten, auch innerhalb ihrer Familie. Sie findet mit ihren Freunden eine geniale und überraschende Strategie.

Hintergrund der Geschichte ist, dass in den USA Bücher, die uns unproblematisch erscheinen mögen, tatsächlich aus vielen Bibliotheken entfernt werden, etwa aus religiösen Erwägungen, weil sie von Hexen und Zauberei oder übernatürlichen Dingen handeln. Das bedeutet, dass z.B. die Harry Potter-Serie in vielen Bibliotheken dort fehlt. In vielen Diktaturen werden Bücher aus politischen Gründen nicht zugelassen oder nur Büchern aus bestimmten Ländern erlaubt, nicht aber aus pluralistischen Ländern. Auch in Deutschland gibt es eine Form von Zensur. So ist etwa Hitlers „Mein Kampf“ nicht frei verkäuflich oder in Bibliotheken ausleihbar. Gleiches gilt für Bücher über den Bau von Bomben oder pornographische Literatur, die selbst in der Deutschen Nationalbibliothek nur zu wissenschaftlichen Zwecken (mit entsprechendem Nachweis) eingesehen werden dürfen. Das Buch zeigt auf, dass die Grenze zwischen willkürlichem Verbot und gerechtfertigtem Schutzbedürfnis fließend ist und oft im Auge des Beschauers liegt.

Ein phantastisches Buch, das viel Spaß macht und sehr zum Nachdenken anregt. Kann mal jemand einen Roman zu diesem Thema für Erwachsene schreiben? Einstweilen können alle Erwachsenen dieses hier lesen.

Amy und die geheime Bibliothek, Alan Gratz, aus dem Englischen von Meritxell Janina Piel, Carl Hanser Verlag, München 2019, 248 Seiten, 15,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

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