Samstag, 30. November 2019

Irgendwann wird es gut, Joey Goebel

Joey Goebel stammt aus einer Kleinstadt in Kentucky. Es dürfte kein Zufall sein, dass er die zehn Geschichten in diesem Band Mitte der 1990er Jahre in Moberly spielen lässt, ebenfalls einer Kleinstadt in Kentucky. Man kann jede einzelne Episode als eine in sich abgeschlossene Kurzgeschichte lesen. Als Ganzes ergibt sich aber eher ein Roman aus Kurzgeschichten. Manche der Personen tauchen in mehreren der Geschichten auf, zumindest am Rande, so dass sich ein Gesamtbild der Gesellschaft in dieser Ortschaft ergibt. Vielleicht nicht der gesamten Gesellschaft, denn Goebel portraitiert eher die Außenseiter. Sie sind nicht alle Loser oder Underdogs, manche haben sogar VIP-Status. Aber eines ist ihnen gemeinsam: Sie alle sind einsam.

Olivia ist Nachrichtensprecherin beim Fernsehen und eigentlich viel zu hübsch für das kleine Kaff. Sie ist der Traum vieler Männer, die ihr jeden Abend von ihren Wohnzimmern aus zusehen. Elena und ihr Sohn Paul verlassen nur selten das Haus, seit sie beide einen Nervenzusammenbruch erlitten haben. Luke sucht Ablenkung in der Musik und gründet mit Freunden eine Punk Band. Stephanie ist Lehrerin am Community College. Sie möchte ihr Bestes für die Studenten geben, obwohl sie seit langem keine feste Stelle bekommt. Und das sind nur einige der Charaktere, die wir im Verlauf des Buches kennenlernen. Alkohol spielt eine Rolle in dem Städtchen. Denn es gibt zu viel Langeweile. So richtig viel passiert dort nicht. Aber ist das nicht überall auf der Welt so?

Alle Figuren wirken realistisch, so verschroben manche auch sind. Wir hören ein Stückchen ihrer Geschichte. Ihnen sind Dinge passiert, die vielen Menschen passieren. Sie sind enttäuscht oder verlassen worden, haben einen lieben Menschen verloren oder sind bei schlechter Gesundheit. Das Leben hat sie eben zu denen gemacht, die sie jetzt sind. Der Zustand zu Beginn der Geschichten ist oft ein bisschen deprimierend. Aber alle Charaktere rütteln an den Gitterstäben ihres Gefängnisses, das meist in ihnen selbst steckt. Sie finden sich nicht ab mit ihrer Situation, sondern wagen Gehversuche außerhalb ihrer Komfortzone. Zuweilen scheitern sie. Aber zumindest versuchen sie etwas. Das macht sie so interessant.

„Die Straßen waren mittlerweile so vereist, dass Matt in einem Hotel würde übernachten müssen. Schon sein ganzes Erwachsenenleben lang hatte er irgendwann irgendeine Nacht in irgendeinem Hotel verbringen wollen. (…)
Als er zu seinem Zimmer im zweiten Stock kam, betrachtete er das breite Doppelbett und fragte sich, was bis zum Ende der Nacht dort wohl passieren würde.“ (Eine Nacht im Ramada Inn, S. 164/165)

Weshalb werden gerade diese schrulligen Typen in der amerikanischen Provinz beschrieben? Dazu sagt der Autor:

„Wenn ich es recht bedenke, verkörpern diese Figuren entweder Aspekte von mir, die ich gern verbergen möchte, oder Aspekte von mir, die mir im Laufe der Jahre abhandengekommen sind und die ich gern zurückhaben würde.“ (S. 310)

Die Geschichten sind gut erzählt, lesen sich flüssig und unterhaltsam. Manche Charaktere sind rührend, weil ihr Anspruch an das Glück im Leben so bescheiden und gleichzeitig so unerreichbar scheint. Sie wünschen sich das, was wir uns alle wünschen: ein bisschen Beachtung, Spaß und einen sinnvollen Tag. Was sie alle noch haben, ist ein Fünkchen Hoffnung, aus dem sie das Beste machen. Und gerade das macht den Reiz dieses Buches aus.

Das alltägliche Streben nach ein bisschen Glück in einer x-beliebigen Kleinstadt wird auf anrührende Weise erzählt. Der Leser kann sich an jeder Stelle fragen, ob es sich nicht lohnen würde, selbst auch einen Schritt nach draußen zu wagen. Was traust Du Dich heute?

Irgendwann wird es gut, Joey Goebel, aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog, Diogenes Verlag, Zürich 2019, 320 Seiten, 22,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

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