Donnerstag, 13. Juni 2019

Literatur in den Häusern der Stadt, Hamburg, Juni 2019

Ein Literaturfestival der besonderen Art ist „Literatur in den Häusern der Stadt“. Es existiert seit 2001 und wird vom Kunstsalon e.V. (www.kunstsalon.de) organisiert. Die Idee ist, Literatur in einer Art Salon darzubieten, nämlich in Privat- oder Geschäftshäusern. Das Festival findet zeitgleich in Hamburg, Köln und Bonn statt. Dieses Jahr finden in Hamburg an 5 Tagen 15 Lesungen und 1 Poetry Slam an 16 verschiedenen Orten statt. (Die Lesung von Inger-Maria Mahlke aus „Archipel“ musste leider abgesagt werden.)

Lesung „Unterwerfung“ am 12. Juni 2019

Stefan Hunstein
Der Eröffnungsabend des diesjährigen Hamburger Festivals fand in den Räumen einer PR-Agentur statt. Ca. 70 Gäste saßen im extra bestuhlten Foyer des Unternehmens vor einer eigens gebauten kleinen Bühne. Der Schauspieler Stefan Hunstein gestaltete eine szenische Lesung aus Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ (auf Deutsch erschienen 2015 im DuMont Verlag).

Das Wort Lesung ist jedoch eine deutliche Untertreibung dessen, was dort geboten wurde. Stefan Hunstein hatte selbst den Text des Buches für eine Ein-Mann-Darstellung bearbeitet. Hunstein spielt derzeit am Schauspielhaus Bochum in einer Mehrpersonen-Inszenierung desselben Stoffes den Protagonisten Francois. Die Essenz des Romans trug Hunstein gekonnt frei vor. Er ließ den politisch brisanten Stoff – die Wahl eines muslimischen französischen Staatspräsidenten im Jahr 2023 – lebendig werden. Hochschullehrer Francois wird sein Job gekündigt, nachdem die Universität Sorbonne islamisiert wurde. Die bedrückende Atmosphäre der neuen Zustände war gestern Abend mit Händen zu greifen. Die Zweifel und Überlegungen von Francois, die Angst vor diesem Regime ließen die Zuhörer mitfiebern.

Ich gestehe, dass ich Houellebecqs Roman bislang nicht gelesen habe. Mein erster Weg führte heute jedoch in die Buchhandlung, da ich nicht nur von der Darstellung, sondern auch von dem provokanten Stoff gefesselt wurde. Ich werde mein Versäumnis umgehend nachholen und an dieser Stelle über den Leseeindruck berichten.

Abgerundet wurde der wunderbare Abend durch ein fabelhaftes Catering, das im Kartenpreis inbegriffen war, von Häppchen bis Dessert, von Wasser bis Wein war alles dabei und ließ das Publikum auch nach der Lesung gern zum Gespräch verweilen.

Lesung „Männerspagat“ am 13. Juni 2019

Hajo Schumacher
Heute Abend konnte ich gleich die nächste Lesung genießen, diesmal in den Räumen eines Markisenherstellers an der Elbe. Hier las der Journalist Hajo Schumacher aus seinem Buch „Männerspagat“ (erschienen 2018 im Eichborn Verlag). In seinem Buch geht es um Geschlechterrollen, alte überkommene und neue, die es zu entwickeln gilt. Schumacher ist seit über 25 Jahren verheiratet und hat mit seiner Frau zwei Söhne.

Schumacher berichtete (mehr als er las) sehr kurzweilig, offen und selbstironisch über seine Experimente des gegenseitigen Verstehens in seiner Ehe. Nachdem es zu der vielen bekannten Beziehungsunzufriedenheit gekommen war, bei dem er sich als Familienernährer nicht genügend wertgeschätzt und seine Frau ihre Rolle als Hausfrau und Mutter von ihm deutlich unterbewertet fand, kam es zum zeitweiligen Rollentausch. Das Paar besuchte Paar- und Tantra-Workshops, an deren Erfahrungen die Leser nun teilhaben dürfen, sehr vergnüglich, zugleich aber sehr ernsthaft. So sollte Schumacher sich nach seinen weiblichen Anteilen fragen: Wenn ich eine Frau wäre, wie sähe ich dann aus? Und mit welcher Art Mann würde diese Frau gern zusammen sein? Ferner tauschte das Paar die Kleidung. Schumacher gab sich überrascht von der vielen Frischluft unter einem Kleid und der sportlichen Anstrengung, die es bedeutet auf High Heels zu laufen. Ähnlich überrascht sei jedoch seine Frau gewesen, als bei der (bekleidet ausgeführten) Missionarsstellung die Rollen getauscht wurden.

Erneut habe ich einen sehr anregenden Abend mit viel Schmunzeln erlebt. Auch hier wurde gut für das leibliche Wohl gesorgt. Der Autor signierte auf Wunsch sein Buch und stand nach der Lesung gern zum Gespräch bereit.

Resumée

Dieses Festival, bei dem ich auch im vorigen Jahr schon zu Gast war, lebt von seiner intimen Atmosphäre und den ungewöhnlichen Orten, an denen es stattfindet. Abgesehen von der wunderbaren Literatur lohnen sich viele Veranstaltungen schon für die Lokation, die man vielfach sonst nie von innen sehen würde. Leider ist das Festival viel zu wenigen bekannt. Ihm wäre (trotz sehr gut besuchter Veranstaltungen) noch mehr und vor allem jüngeres Publikum zu wünschen, denn wer nicht hingeht, verpasst eindeutig etwas!

Das Festival dauert noch bis zum 16. Juni 2019, Restkarten gibt es unter www.kunstsalon.de. Ich danke den Veranstaltern für den kostenlosen Eintritt zur Lesung am 13. Juni 2019. Wer es dieses Jahr nicht schafft, hat im nächsten Jahr erneut die Chance.

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