Freitag, 7. Juni 2019

Geschichte der deutschen Literatur, Manfred Mai


Manfred Mai zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht einfach Sachbücher über Geschichte schreibt. Nein, er erzählt Geschichte. So kommt es, dass man seine „Geschichte der deutschen Literatur“ recht schnell von vorn bis hinten durch lesen kann. Es ist eben kein Nachschlagewerk, das Daten aneinander reiht, sondern eine Erzählung, die einen leichtfüßig mitnimmt durch die Jahre und Jahrhunderte, wie auch seine „Deutsche Geschichte“, die ich hier schon vorgestellt habe (vgl. meine Rezension).

Der Titel ist insofern etwas unscharf, als es sich nicht nur um deutsche Literatur, also deutsche Autoren handelt, sondern das Werk deutschsprachige Literatur insgesamt umfasst, also insbesondere österreichische und schweizer Autoren.

Die Anfänge der deutschen Literatur sieht Mai im 8. Jahrhundert nach Christus, da erst zu dieser Zeit eine ausreichende Schriftkultur (die über Runen und Zeichen hinausgeht) bestand, die uns überliefert ist. Erstaunlicherweise sind die ersten überlieferten Texte zwei Zaubersprüche! Wer hätte das gedacht! Mir war bewusst, dass es zu diesem Zeitpunkt kein einheitliches deutsches Reich gab und auch unser heutiges Hochdeutsch noch nicht existierte. Mir war allerdings nicht klar, dass die damaligen Dialekte, die die Menschen auf dem heutigen deutschen Territorium gesprochen haben, so weit von der heutigen deutschen Sprache entfernt waren. Die Zaubersprüche etwa soll ein Mönch in Fulda aufgeschrieben haben. Diese wären mir ohne die Übersetzung ins Hochdeutsche überhaupt nicht verständlich gewesen.

Der Autor bildet in den Kapiteln des Buches Epochen und stellt eine kleine Auswahl typischer Vertreter vor. Behandelt werden alle Gattungen, also neben Prosa auch Lyrik und Drama. Es tut dem Buch ausgesprochen gut, dass nicht zu viele Autoren behandelt werden. Wichtiger ist die Einordnung in den historischen Kontext, in dem die Literatur entstanden ist. Am allerbesten gefällt mir aber, dass Literatur nicht nur beschrieben wird, sondern dass man sie mitten im Text gleich selbst lesen kann. Der beschreibende Text ist in schwarzer Schrift gedruckt. Dazwischen finden sich in roter Schrift in jedem Kapitel lange Zitate aus wichtigen Werken (also nicht nur wenige Sätze, sondern aussagekräftige Passagen). So bekommt man gleich ein Gefühl für den jeweiligen Autor, ohne zuerst eine Bibliothek aufsuchen zu müssen.

„Zeigen“ wollte der junge Brecht mit seinen Stücken, nicht unterhalten. Dafür schien ihm das klassische „Illusionstheater“ ungeeignet. Deshalb suchte er Mittel und Wege, die Zuschauer aus ihrer Konsumhaltung zu reißen. Schon bei der Aufführung seiner ersten Stücke ließ er zum Beispiel Transparente aufhängen: „Glotzt nicht so romantisch!“ Die Schauspieler traten aus ihrer Rolle, wandten sich direkt an das Publikum und forderten es zum Mit- und Nachdenken auf; (…). (S. 147)

Schade ist, dass die als aus 2018 stammend gekennzeichnete Ausgabe keine Aktualisierung des Textes enthält, sondern weiterhin auf dem Stand von 2006 bleibt. Die Jahre bis heute fehlen in der Abhandlung also. Während ich mit der Auswahl der Autoren als typisch für bestimmte Zeitabschnitte überwiegend sehr einverstanden bin, verblüfft mich die Auswahl für die Zeit ab Mitte der 1990er Jahre bis 2006 doch sehr. Ich hatte keinen der Namen zuvor gehört und hätte mir andere vorstellen können. Aber das ist natürlich Geschmackssache, wie auch der Autor in seinem Vorwort gern zugibt.

Die Abhandlung ist eigentlich für Jugendliche als Einführung in die Literatur gedacht und soll Lust zum Lesen wecken. Als Einstieg ist sie aber auch für Erwachsene auf jeden Fall empfehlenswert. Wie auch im Werk „Deutsche Geschichte“ ermöglicht Manfred Mai in diesem Buch einen Überblick über die großen Strömungen und Entwicklungen über Jahrhunderte, ohne sich in zu vielen Details zu verstricken. Er beschreibt sehr nachvollziehbar ohne unverständliches Fachvokabular das Besondere oder Neue eines bestimmten Stils und unterfüttert dies mit Zitaten der Autoren aus Interviews o.ä., in denen sie ihr eigenes Werk beschreiben. Aufgelockert wird das Buch durch Portrait-Zeichnungen der Autoren.

Ein sehr gelungenes Werk, das Lust zum Entdecken von Klassikern von Goethe bis Dürrenmatt, von Kästner bis Schlink macht.

Geschichte der deutschen Literatur, Manfred Mai, Gulliver in der Verlagsgruppe Beltz, Weinheim Basel 2006, 240 Seiten, 8,95 EUR

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