Sonntag, 26. Juli 2020

Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Weimar

Urlaub in Deutschland ist dieses Jahr Trend. Also habe ich mir einen langgehegten Traum erfüllt und bin zum ersten Mal nach Weimar gereist. Schon lange wollte ich die wunderschöne Herzogin Anna Amalia Bibliothek besuchen mit dem berühmten Rokokosaal. Weimar ist heute ein Städtchen mit ca. 65.000 Einwohnern. Angesichts dieser Größe ist das kulturelle Erbe dieser Stadt, das einem auf Schritt und Tritt begegnet, besonders beeindruckend. Zu Goethes Zeiten lebten sogar nur ca. 6.000 Menschen dort.

1.     Anfänge der Bibliothek

Die ersten 300 Jahre lang trug die Bibliothek noch nicht den Namen der Herzogin, die auch nicht die Gründerin der Institution ist. 1691 gilt als das Geburtsjahr der Sammlung, die zunächst im Weimarer Residenzschloss verwahrt wurde. Es handelte sich schlicht um die „herzogliche Bibliothek“. Bücher und Drucke waren nur ein Teil der Sammlung diverser Kulturgüter, zu denen auch z.B. Gemälde, Kunsthandwerk und naturkundliche Gegenstände gehörten. Erst seit 1750 beschäftigte die Bibliothek einen hauptamtlichen Bibliothekar.

Herzogin Anna Amalia übernahm die Regierung des Herzogtums Sachsen-Weimar und Eisenach im Jahr 1758, nachdem ihr Ehemann früh verstorben war. Dass sie als Frau sein Amt übernehmen konnte, war dem Umstand geschuldet, dass der gemeinsame Sohn und Thronfolger Carl August beim Tode des Vaters erst ein Jahr alt und somit bis zur Volljährigkeit nicht regierungsfähig war. Anna Amalia lagen Bildung, Literatur und Kultur sehr am Herzen. Ihr größter Verdienst um die Bibliothek bestand darin, dass sie diese aus der herzoglichen Residenz in ein eigenes Gebäude umziehen ließ und somit vom Betrieb des Hofes absonderte. 1766 zog der Buchbestand von ca. 30.000 Bänden um in das sog. Grüne Schloss. In diesem Gebäude befindet sich die Bibliothek bis heute. Der Umzug bewahrte die Bibliothek wahrscheinlich vor ihrer völligen Zerstörung, da im Jahr 1774 das Residenzschloss abbrannte. Sinn des Umzugs war vor allem, die Buchbestände einer größeren Anzahl von Menschen, nämlich der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Einrichtung einer öffentlichen Bibliothek war ein sehr moderner Gedanke, der in Weimar lange vor anderen Orten verwirklicht wurde.

2.      Der Rokokosaal

Geliebtes Herzstück der Bibliothek ist bis heute der Rokokosaal. Das Grüne Schloss war bereits 1565 erbaut worden und wurde auf Geheiß Anna Amalias 1761 bis 1766 zur Bibliothek umgebaut. August Friedrich Straßburger entwarf den Rokokosaal auf einer nur 21 x 11 m großen Grundfläche des ersten Stockwerks des Gebäudes. Innerhalb des rechteckigen Raumes gestaltete er eine Ellipse aus 12 Pfeilern. Diese Kombination aus rund und eckig macht für mich den besonderen Charme des Raumes aus. Die Räume zwischen den Pfeilern sind teilweise mit gerundeten Bücherregalen ausgefüllt, zum Teil als Sichtachse und Durchgang frei gelassen, so dass die Regale von beiden Seiten zugänglich sind. Auf den Pfeilern ruht eine Galerie, die in der Mitte offen und mit einem Geländer begrenzt ist, so dass eine zweite Ebene mit Bücherregalen an den Wänden entstand. Die Decke des Raumes oberhalb der Galerie hat wiederum eine ellipsenförmige Öffnung mit Geländer, so dass die Decke des darüber liegenden Stockwerks sichtbar wird. An dieser ist ein von unten sichtbares Gemälde angebracht. Das so entstehende hohe Raumgefühl ist fast kirchenähnlich. Die gesamte Konstruktion von Regalen und Galerie ist aus einfachem Kiefernholz gefertigt und angestrichen.

Besonders an diesem Bibliotheksraum ist neben der Konstruktion der Umstand, dass zusätzlich zu den Büchern, Karten etc. auch Büsten und Gemälde berühmter Persönlichkeiten aufgestellt und angebracht wurden. Bei den dargestellten Personen handelt es sich nicht nur um Mitglieder der herzoglichen Familie, sondern in gleicher Größe und sozusagen auf Augenhöhe auch um Dichter und Denker der Weimarer Klassik, allen voran Goethe und Schiller. Bis heute können die in der Bibliothek aufgestellten Werke zu Forschungszwecken in den Lesesaal bestellt und benutzt werden. (Leider darf man sie also nicht in der wunderbaren Atmosphäre des Rokokosaals lesen.)


3.      Goethe-Zeit in der Bibliothek

Goethe hielt sich ab 1775 in Weimar auf und freundete sich rasch an mit Herzog Carl August, dem Sohn Anna Amalias, der im selben Jahr die Regierung übernommen hatte. 1797 wurden die Geheimen Räte Goethe und Voigt zu Oberaufsehern der herzoglichen Bibliothek ernannt. Goethe blieb seiner Position in der Bibliothek bis zu seinem Tod treu. Als erstes wurde eine neue Bibliotheksordnung mit festen Ausleihtagen und -fristen erarbeitet. Inzwischen war die Bibliothek eine vom Hofe weitgehend unabhängige Einrichtung geworden, die sich sogar erlauben konnte, die vom Herzog selbst entliehenen Bände zur Rückgabe anzumahnen. Der Buchbestand wurde mit einem festen Etat jedes Jahr erweitert. Goethe muss einer der besten „Kunden“ gewesen sein: Er selbst hat zwischen 1792 und 1832 ganze 2.276 Titel ausgeliehen! 1832, in Goethes Todesjahr, war ein Gesamtbestand von 80.000 Büchern vorhanden. Die Katalogisierung nahm überwiegend Goethes Schwager Christian August Vulpius vor, der von 1797 bis 1826 auf Goethes Empfehlung hin in der Bibliothek tätig war. Um mehr Platz für die Bücher zu schaffen, wurde 1821 bis 1825 der neben dem Grünen Schloss stehende Turm zum Bibliotheksturm mit einer kunstvollen hölzernen Wendeltreppe in der Mitte umgebaut und durch ein Verbindungsgebäude an das Schlossgebäude angeschlossen.

4.      Entwicklung der Bibliothek bis heute

Seit der Abdankung des letzten Herzogs 1918 sprach man schlicht von der Thüringischen Landesbibliothek. Das Gebäude war mit ca. 400.000 Titeln überfüllt. Wechselnde politische Machthaber wünschten sich eine Bibliothek, die der Volksbildung dienen sollte. Jedoch war die Bibliothek seit der Mitte des 19. Jahrhunderts mehr und mehr zum Museum, das Menschen besichtigen wollten und Ort der Goetheverehrung geworden als zu einer Ausleihstelle für aktuelle Literatur. 1969 erfolgte die Umbenennung in Zentralbibliothek der deutschen Klassik und eine endgültige Spezialisierung auf Literatur der Zeit von 1750 bis 1850 unter Weggabe anderer Bestände z.B. an die Universitätsbibliothek Jena. Nach der deutschen Wiedervereinigung und zum 300. Bibliotheksjubiläum im Jahr 1991 erst erhielt die Einrichtung ihren heutigen Namen, Herzogin Anna Amalia Bibliothek.

Seit 2000 geplant und 2005 eingeweiht wurde ein Bibliotheksneubau direkt gegenüber des Grünen Schlosses. Die dortigen historischen Gebäude, das Rote und das Gelbe Schloss wurden durch einen Kubus und ein unterirdisches Tiefmagazin ergänzt. In dem Bücherkubus befindet sich heute das sog. Studienzentrum mit einer Präsenzbibliothek von ca. 40.000 Bänden moderner Forschungsliteratur verschiedener Fachbereiche. Die Atmosphäre des lichtdurchfluteten Kubus ist modern und lädt den Leser zum Verweilen ein.

5.      Bibliotheksbrand 2004

Am Abend des 2. September 2004 brach durch ein schadhaftes Elektrokabel ein furchtbares Feuer in der Bibliothek aus. Wie viele Menschen in ganz Deutschland habe ich voll Trauer am Fernseher mitverfolgt, wie Flammen aus dem Dach schlugen und mutige Menschen mit bloßen Händen Bücher aus dem brennenden Gebäude trugen, um zu retten, was zu retten war. Der hölzerne Rokokosaal sowie 50.000 Bücher sind bei dem Feuer vollständig zerstört worden. Weitere 62.000 Bücher sind durch Feuer, Ruß und Löschwasser schwer beschädigt worden. Ersatzbeschaffung und Restaurierung der Bücher dauern bis heute an. Der Rokokosaal aber ist detailgetreu wiederaufgebaut worden! Vergleicht man den heutigen Anblick mit Fotos des Originalsaals ist kaum ein Unterschied festzustellen. Eine Meisterleistung! Die Wiedereröffnung erfolgte am 24. Oktober 2007. Seitdem kann der Rokokosaal wieder besichtigt werden.

6.      Zum Schluss

Bücherturm und Bibliothek von der Parkseite

Jeder Buchliebhaberin kann ich einen Besuch in Weimar und vor allem in der wunderschönen Herzog Anna Amalia Bibliothek nur ans Herz legen. Diese kleine Stadt ist zum Bersten angefüllt mit Kultur, viel mehr als man in ein paar Tagen erfassen kann. Vor allem im Rokokosaal spürt man, dass er einen Teil unseres kollektiven Gedächtnisses enthält, aus dem wir bis heute lernen und an dem wir uns erfreuen dürfen. Ich werde auf jeden Fall wiederkommen.

Die meisten der hier verwendeten Informationen stammen aus dem sehr empfehlenswerten Buch „Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek – Ein Portrait“ (68 Seiten mit vielen Fotos) von Michael Knoche, dem von 1991 bis 2016 amtierenden Bibliotheksdirektor, erschienen in 2. Auflage 2016 im Otto Meissner Verlag, Berlin.

Mein sehr herzlicher Dank gilt der Klassik Stiftung Weimar als Trägerin der Bibliothek, die mir freundlicherweise den kurzfristigen Zugang zum Rokokosaal ermöglicht, die kostenfreie Veröffentlichung meiner Fotos gestattet und diesen Beitrag dadurch sehr unterstützt hat.

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