Dienstag, 7. April 2020

Quasi, Sara Mesa


Quasi vierzehn ist sie, als sie beschließt, nicht mehr in die Schule zu gehen, also eigentlich dreizehn. Sie mag die Schule nicht, wo andere Mädchen sie „Brotgesicht“ nennen und damit angeben, dass sie schon einen Freund haben. Auch ihren Körper mag sie nicht, findet sich zu dick und hat Pickel an den Armen. Und ihren Namen mag sie auch nicht. Deshalb nennt der Alte sie einfach Quasi.

So alt ist der Alte nun auch nicht, Mitte fünfzig, aber für Quasi eben doch ein alter Mann. Auch weil er so altmodisch aussieht mit seinem dünnen Schnurrbart und dem edlen, aber abgenutzten Anzug.

„Beim ersten Mal ist sie so überrumpelt, dass sie bei seinem Anblick zusammenzuckt. Das Mädchen sitzt mit dem Rücken an den Baum gelehnt da und liest eine Zeitschrift, als sie hört, wie Schritte näherkommen, das Rascheln im Laub, da steht er plötzlich vor ihr – vielleicht ein wenig verwirrt, aber nicht überrascht, sie hier, hinter den Büschen versteckt, anzutreffen. Der Alte bittet um Verzeihung – „Ich wollte dich nicht erschrecken!“, sagt er – und fragt anschließend, was sie da liest.“ (S. 7)

Was durch Zufall beginnt, wird zur Routine. Jeden Morgen versteckt Quasi sich hinter den Büschen im Park. Jeden Tag kommt der Alte vorbei und setzt sich zu ihr. Er redet über Vögel, die er mit seinem Fernglas beobachtet und über die er einfach alles weiß. Warum arbeitet er eigentlich nicht? Lieber nicht fragen, denn er fragt Quasi auch nicht, warum sie nicht in der Schule ist. Nach und nach erzählt Quasi, dass es zuhause nicht mehr so ist wie früher, weil ihr älterer Bruder ausgezogen ist, um seinen Master im Ausland zu machen. Bröckchenweise erfährt sie von dem Alten, dass dieser mal in einer Klinik gewesen ist, wo man nie allein spazieren gehen durfte und man ihm gegen seinen Willen Medikamente gegeben hat.

Quasi erzählt niemandem von ihrer Bekanntschaft mit dem Alten. Sie weiß, dass die Leute ihre Treffen komisch finden würden. Sie weiß auch, dass ältere Männer jungen Mädchen manchmal nachstellen und sie belästigen. Was will der Alte von ihr? Will er sich nur unterhalten? Quasi weiß, dass ihr Schulschwänzen irgendwann entdeckt werden und man sie dann fragen wird, was sie den ganzen Tag im Park gemacht hat. Da nimmt die Geschichte eine unerwartete Wendung. Denn nichts ist, wie es zu sein scheint.

Die spanische Autorin Sara Mesa zeichnet feinfühlig und in sich langsam ergänzenden Facetten zwei Menschen, die sich anders als die anderen fühlen, die Außenseiter sind. Sehr nachvollziehbar beschreibt sie das verwirrende Teenageralter, in dem Körper und Seele sich verändern, man nicht weiß, wohin man gehört, und ob alles, was die anderen sagen, richtig ist. Wer definiert eigentlich, wie man sein muss, was man darf und was man nicht darf? Warum darf der Alte nicht mit Kindern auf einem Schulhof sprechen? Wieso hat man ihm verboten allein spazieren zu gehen? Der Roman beschreibt in leisen, empathischen Tönen die Gratwanderung der Toleranz und des Respekts für den anderen, egal ob jung oder alt. Dabei geht es immer um das Verstandenwerden, das wir alle uns wünschen, und um die Notwendigkeit genau hinzuschauen, weil ein schnell gefundenes Etikett den anderen nie zutreffend beschreiben kann.

Eine wunderschön erzählte, ungewöhnliche Geschichte über das Anderssein, deren Ausgang auch ganz anders ist als gedacht.

Quasi, Sara Mesa, aus dem Spanischen von Peter Kultzen, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2020, 144 Seiten, 18,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)

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