Dienstag, 26. Februar 2019

National Novel Writing Month - Interview mit Autorin Meike Stewen aus Hamburg

Meike Stewen im NaNoWriMo-Shirt
Der National Novel Writing Month - kurz NaNoWriMo - ist eine 1999 in den USA gegründete Autoren-Challenge. Der Wettbewerb findet alljährlich im November statt. Mitmachen kann jede/r weltweit, kostenlos und in diversen Sprachen über die Website www.nanowrimo.org. Ziel ist es, in nur einem Monat, also vom 1. bis zum 30. November eines Jahres, einen Roman von mindestens 50.000 Wörtern Länge zu schreiben. Meike Stewen, Autorin und Übersetzerin aus Hamburg, hat im November 2018 mitgemacht und den Wettbewerb gewonnen. Buch-Lady.de hat sie dazu interviewt.

Buch-Lady: Liebe Meike, erst einmal herzlichen Glückwunsch zu deinem Erfolg beim National Novel Writing Month 2018! Eine tolle Leistung. Wie bist du darauf gekommen, bei dieser Challenge mitzumachen? Einen Roman kann man ja auch zu anderer Zeit schreiben als ausgerechnet im November.

Meike Stewen: Ganz herzlichen Dank! Ja, ich bin auch sehr stolz auf mich. Tatsächlich habe ich schon mehrere Male beim NaNoWriMo mitgemacht, allerdings ohne die magischen 50.000 Wörter zu knacken. Schreibfreunde hatten mir vor etwa zehn Jahren von dem Projekt erzählt. Erst war ich skeptisch, weil ja niemand wirklich überprüft, ob ich die Wörter, die ich in meinem NaNoWriMo-Profil angebe, auch tatsächlich geschrieben habe. Ich habe mich gefragt, ob ich ohne „Kontroll-Instanz“ überhaupt am Ball bleiben würde. Aber dann habe ich gemerkt, dass mich das Wissen darum, dass auf der ganzen Welt Menschen genau wie ich an ihren Romanen tippen, sehr beflügelt hat. Die Gemeinschaft motiviert mich enorm, und auf der NaNoWriMo-Seite gibt es Foren, in denen wir uns austauschen, gegenseitig inspirieren, Schreibfrust ablassen können. Wer will, kann sich lokal sogar live mit anderen Schreibenden treffen. Ich selbst schreibe lieber für mich allein, meistens jedenfalls. Und der November ist ein wunderbarer Monat dafür, wie ich finde. Nasskalt (jedenfalls in Hamburg) und düster – die perfekte Voraussetzung, mich nach der Arbeit mit dem Laptop in mein Lieblingscafé zu setzen.

Buch-Lady: Für alle, denen NaNoWriMo kein Begriff ist, könntest du kurz erklären, wie das Projekt abläuft. Man geht auf die Website und registriert sich. Wie geht es dann weiter? Was macht man auf dieser Website und wie funktioniert das genau mit dem Wörter zählen?

Meike Stewen: Man registriert sich und stellt sich sein NaNoWriMo-Autorenprofil zusammen – mit seinem Pseudonym, vielleicht auch persönlichen Interessen, musikalischen Vorlieben und einem Profilbild. Ab Oktober kann man auch den Roman genauer spezifizieren, an dem man im November arbeiten will: den Titel, ein (vorläufiges) Cover dazu, eine kurze Zusammenfassung und eine Leseprobe. Das ist so ein bisschen Spielkram, aber der Spielkram ist nicht zu unterschätzen: Erstens macht es Spaß, zweitens ist es kommunikativ, und drittens führt es dazu, dass ich mich als Autorin ein bisschen ernster nehme.

Am 1. November um 0 Uhr fällt dann der Startschuss, und man darf offiziell losschreiben. Die bisher erreichte Wortzahl trägt man in ein Fenster auf seinem Profil ein. Daraufhin zeigt dann ein Balken, wie man im Rennen liegt. Ist der Balken grün, hat man den nötigen Tagesdurchschnitt von 1.667 Wörtern erreicht oder übertroffen. Seine Wörter lässt man entweder vom Textverarbeitungsprogramm zählen, oder man nutzt ein NaNoWriMo-Tool, in das man seinen Text hineinlädt. Im Grunde basiert diese Angabe auf Ehrlichkeit, und natürlich kann ich statt eines selbstgeschriebenen Textes auch ein paar aus Wikipedia kopierte Artikel hochladen oder eine Fatasiewortzahl angeben, aber was hätte ich davon?

Buch-Lady: Die Website hilft einem also dabei, dran zu bleiben am eigenen Schreibziel, verstehe. Damit man mal einen Eindruck von der Textmenge bekommt: Schreibt man in einem gängigen Textverarbeitungsprogramm in Schriftgröße 12 Punkt, passen - je nach Randgröße und verwendeter Schrift - ca. 250 (Normseite) bis 400 Wörter auf eine DIN A 4-Seite. Wie schwierig ist es, diesen Tagesdurchschnitt von 1.667 Wörtern - entsprechend mindestens vier DIN A 4-Seiten - zu erreichen? Du gehst daneben ja auch noch anderen beruflichen Tätigkeiten nach und hast einen Partner.

Meike Stewen: Das ist für mich tatsächlich nicht ganz leicht, beziehungsweise: sauschwer sogar, gerade zu Beginn. Weil ich eine sehr mäkelige Schreiberin bin und es nicht aushalten kann, einen unglücklichen Satz aus meiner Tastatur erst mal einfach so stehen zu lassen. Obwohl gerade *das* das Prinzip des NaNoWriMo ist und ich mir immer wieder gesagt hatte: Schreib weiter, mäkeln und redigieren kannst du später noch! Die ersten ein, zwei Tage war ich vielleicht noch beflügelt von meinem "guten Vorsatz", der allgemeinen NaNoWriMo-Stimmung und der Tatsache, dass ich mein Gewinner-T-Shirt einfach schon mal ganz frech bestellt hatte ... aber dann bin ich eingeknickt. Ich fand alles, was ich geschrieben hatte, doof. So doof. Und dann bin ich schnell ins Hintertreffen geraten mit meinen Wörtern.

Und ja, ich hatte zum Schreiben nur die Abende und das Wochenende. Insbesondere abends hätte ich mich zunächst lieber faul vor den Fernseher gesetzt und gestrickt. Aber verdammt noch mal, ich hatte ja schon das T-Shirt bestellt. Und mir so sehr gewünscht, dass es diesmal endlich klappt. So sehr! Also habe ich mich ganz konsequent fast jeden Abend kurz nach der Arbeit in ein Café gesetzt, allein mit meinem Laptop. Na ja, und mit einem Milchkaffee. Und einem Stück Torte. Und einer großen Mangoschorle. Oft noch einem zweiten Milchkaffee. Mit dieser freundlichen Unterstützung habe ich es geschafft, nicht noch mehr zurückzufallen. Und ganz am Ende hat mich dann der Deadline-Druck über die Zielgerade geschubst. Mein Mann war von der ganzen Aktion (Meike wochentags erst spät zu Hause) nur mäßig begeistert. "Es ist ja nur für einen Monat", habe ich gesagt. Und ihm dabei verschwiegen, dass ich gerade ernsthaft darüber nachgedacht habe, diese Routine fest in mein Leben zu integrieren, weil sie irgendwie auch ... na ja, süchtig gemacht hat.

Buch-Lady: Und wurde es kurz vor dem Ende am 30. November noch richtig knapp? Hast du Nachtschichten gemacht?

Meike Stewen: Ich bin eine wandelnde Nachtschicht ... Und ja, gegen Ende wurde es ganz schön knapp. Seltsamerweise gab's weder Fanfaren noch Blumenregen, als ich meine über 50.000 Wörter um kurz vor zwölf auf der NaNoWriMo-Seite eingetragen habe. Und dann teilte mir ein Schreibfreund mit, dass ich den ganzen Text noch mal irgendwo hätte hochladen müssen, um ein echter "Winner" zu sein, mit "Winner"-Schriftzug. Leider war es da aber schon weit nach Mitternacht. Zum Glück sind mir irgendwann die Azoren eingefallen, diese Inselgruppe im Atlantik, von der schon einige Freunde geschwärmt haben. Also bin ich schnell dorthin – rein virtuell natürlich (in meinem NaNoWriMo-Profil). Es hat mir dort auch ganz wunderbar gefallen: In meiner neuen Zeitzone hatte ich nämlich noch über eine Stunde, um meinen Roman zu validieren ...

Buch-Lady: Nun bin ich natürlich gespannt zu hören, was für einen Roman du mit so viel Anspannung, Disziplin und Power im letzten November geschrieben hast. Worum geht es in deinem Buch?

Meike Stewen: Grob gesprochen, geht es um soziale Ängste, große Sehnsüchte, Enttäuschungen, Stalking, jede Menge "Psycho" ... und um Freundschaft. Und ganz konkret geht es um die Mathematikstudentin Mascha, die sich in einen Kommilitonen verliebt, Jan. Der knutscht ein bisschen mit ihr herum, dann wird ihm das aber zu viel und zu heikel. Also zieht er sich wieder zurück. Und Mascha zieht ihm hinterher, ganz heimlich und hintenrum. Weil sie meint, dass nur Jan sie erlösen kann von ... irgendwie allem. Am meisten aber von sich selbst. Und während sie ihm heimlich hinterherzieht, entstehen lauter neue Persönlichkeiten, die Mascha bei ihrer Hinterherzieherei zur Seite stehen. Persönlichkeiten, die es in Wirklichkeiten gar nicht gibt. Oder doch? Das ist schwer zu sagen, weil am Ende auch schwer zu sagen ist, was überhaupt wirklich ist und was nicht.

Buch-Lady: Das klingt sehr spannend und vielversprechend, Meike! Dein Roman, den du unter dem Pseudonym Judith Gavenny schreibst, hat den Arbeitstitel "Der ungefähre Arsch". Buch-Lady.de ist stolz, eine exklusive Leseprobe des Romans auf diesem Blog erstmals veröffentliche zu dürfen, und zwar im Anschluss an dieses Interview.

Dein Roman ist bisher nicht veröffentlicht worden. Du hast letzten November mehr als 50.000 Wörter geschrieben. Das entspricht immerhin schon einem Taschenbuch mit ca. 225 Seiten. Aber ist dein Roman dabei fertig in dem Sinne geworden, dass von Anfang bis Schluss alle Kapitel da sind? Oder soll er deutlich länger als 50.000 Wörter werden? Redigierst du nur noch oder schreibst du die Geschichte derzeit noch weiter?

Meike Stewen: Nein, mein Roman ist noch lange nicht fertig. Ich bin mit dem Plot gerade mal bis zur Hälfte meiner provisorischen Planung gekommen. Wobei ich nicht alles hundertprozentig durchgeplant habe; die Handlung ergibt sich bei mir zum Teil während des Schreibens. Aber ich habe festgestellt, dass das Schreiben unter Zeitdruck das Denken und bewusste Planen herunterregelt und dafür das Unbewusste stärker zum Vorschein bringt. Dabei entstehen ganz spannende Dinge, die ich nie hätte planen können ... gleichzeitig aber auch eine Menge Wortmüll. Im Moment merke ich, dass es mir ohne Zeitdruck und ohne die gefühlte NaNoWriMo-Gemeinschaft wirklich schwer fällt, den Text weiterzuschreiben. Also halte ich mich erst mal ans Bearbeiten und Entrümpeln des bisher Geschriebenen – bei langsamerem Tempo und größtenteils eingeschaltetem Denkapparat.

Buch-Lady: Der nächste November kommt bestimmt. Vielleicht schreibst du die zweite Hälfte des Romans ja während des nächsten NaNoWriMo? Für die weitere Arbeit an deinem Buch wünsche ich dir alles Gute und danke dir für dieses Interview!
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Das Interview wurde im Februar 2019 geführt. Kontakt zur Autorin: Mascha(at)hamburg.de

Nach Angaben des Veranstalters haben im Jahr 2017 ganze 394.507 Menschen von 6 Kontinenten am National Novel Writing Month teilgenommen, von denen mehr als 58.000 die Challenge gewonnen haben (vgl. Pressemitteilung vom 21.09.2018 auf https://nanowrimo.org/press, abgerufen am 23.02.2019, 21.27 h). Gewinner ist jede/r, welche/r die 50.000 Wörter im Zeitlimit zu schreiben schafft. Eine inhaltliche Bewertung der Romane findet nicht statt.

Buch-Lady.de steht in keiner Verbindung zum NaNoWriMo und hat keinen Einfluss auf den Inhalt der verlinkten Websites.

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