Freitag, 27. September 2019

Mio war da!, Tanja Székessy

Mio ist ein drolliger kleiner Stoff-Pinguin. Er wohnt in der Klasse 1d. Er geht auf eine abenteuerliche Tour, denn er darf einmal bei jedem Kind aus der Klasse übernachten! Mio sieht, wie unterschiedlich die Kinder wohnen. Manchmal lernt er die Eltern kennen, manchmal nur ein Kindermädchen.

Mio ist ein genügsamer Gast. Nur als ein Kind ihn den ganzen Tag im Ranzen vergisst anstatt mit ihm zu spielen, da langweilt er sich ein bisschen. Eine Nacht muss er in einem Badezimmer verbringen. Aber zum Glück findet er eine Toilettenpapierrolle, mit der er sich zudecken kann.

Mio spricht immer liebevoll und in wertschätzenden Worten über die Kinder. Er mag alle Kinder der Klasse sehr gern, sie sind seine Freunde. Er hat Sinn für Humor und lässt geduldig alles mit sich machen. Sogar als er krank wird und operiert werden muss!

„Also war ich am Sonntag bei Amira. Sie hat einen Hund namens Kelim. Es war ziemlich gefährlich, weil er mich zur Begrüßung angekaut hatte und ich deshalb in die Waschmaschine gesteckt wurde. Und gewaschen, kein Witz. Mir ist immer noch etwas dreh-übel…
Aber Amira ist ein absoluter Schatz, sie hat mir einen Schal gehäkelt. So nett!“ (S. 18)

Wunderschön sind die farbigen Illustrationen der Autorin in diesem Bilderbuch. Liebevoll werden 14 Kindersituationen gezeigt, auch wenn der erwachsene Leser in manchen von ihnen ein trauriges Schicksal wahrnimmt. Zum Beispiel bei dem Jungen, der sich Kopfhörer über die Ohren zieht, um dem Streit der Eltern zu entgehen und wo Mio die ganze Nacht fernsehen darf. Dadurch wird das Buch sehr realitätsnah und bietet Anlass ins Gespräch zu kommen.

Ein liebevolles Vorlesebuch über unterschiedliche Lebenssituationen von Kindern. Mio ist einfach süß!

Mio war da!, Tanja Székessy, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2019, 38 Seiten, 14,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

Donnerstag, 26. September 2019

Adler und Engel, Juli Zeh

Das Leben ist kompliziert. Und nicht mehr lebenswert. Das jedenfalls findet Max. Der erfolgreiche Jurist von Mitte dreißig hat am Telefon den Selbstmord einer Freundin miterlebt. Warum hat sie das getan? Max war mit Jessie seit der Schulzeit befreundet. Nun arbeitet Max nicht mehr, kümmert sich um nichts mehr, hängt im Schockzustand herum und könnte genauso gut selber tot sein, findet er. Deshalb kokst er auch Tag und Nacht. Irgendwie muss man den Rest des Lebens ja ertragen.

Zweimal die Woche hört Max nachts eine Radiosendung. Die hippe Moderatorin Clara nimmt Anrufe von Menschen entgegen, die von ihren Problemen erzählen. Eines Nachts ruft auch Max dort an. Clara erscheint ihm so vertraut. Er ist mehr als überrascht, als er Clara schließlich persönlich kennenlernt.


Max versucht mit Claras Hilfe zu verstehen, was geschehen ist. Von seiner jetzigen Bleibe in Leipzig aus geht er zurück nach Wien, wo er lange Zeit gelebt und in einer großen Kanzlei für Völkerrecht gearbeitet hat. Er findet Querverbindungen, die ihn verblüffen. Wer kennt wen und in welchem Zusammenhang? Was hat das mit Jessies Selbstmord zu tun? Bildet er sich das alles nur ein in seinem Drogenrausch? Oder ist er am Ende psychisch krank?

„Außerdem, sagt sie, gibt es zwei Seiten in mir. Die eine will Radio machen und den Leuten beibringen, wie scheißegal alles ist. Dass nur eine Sache ein bisschen Linderung von der großen, umfassenden Langeweile verschaffen kann: nämlich die Macht über andere Menschen.
Ich fürchte, sagte ich, das weiß die Menschheit bereits.
Dann sollen sie aufhören mit der Heuchelei, sagt Clara.
Und die andere Seite?
Meine andere Seite gehört Leuten wie meinem Professor.
Was willst du von ihm?
Er soll es mir schriftlich geben, dass ich nicht nur genauso intelligent bin wie er, sondern auch genauso rücksichtslos.
Wem gegenüber, frage ich.
Natürlich mir selbst gegenüber, sagte sie.
Wahrscheinlich wirst du nicht antworten, wenn ich frage, wozu das gut sein soll.
Ganz recht, sagt sie.“ (S, 220)

Dieser Roman hat mich eingesogen von der ersten Seite an. Eine spannende Geschichte, die zuerst nach einer persönlichen Tragödie aussieht. Mehr und mehr verstricken sich aber die Handelnden zu einem mörderischen Geflecht unterschiedlicher Interessen und verborgener Identitäten. Nichts ist wie es scheint. Organisierte Kriminalität und internationale Beziehungen könnten dahinter stehen, schließlich befindet sich in Wien ein Sitz der UNO. Aber ist das nicht ein bisschen zu weit hergeholt? Juli Zehs allererster Roman bleibt spannend bis zum Schluss.

Ein faszinierender Psychothriller, mit Witz und Raffinesse komponiert, atemberaubend bis zur letzten Seite!

Adler und Engel, Juli Zeh, btb Verlag (Random House Gruppe), München 2003, 448 Seiten, 11,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

Montag, 23. September 2019

Frederick, Leo Lionni


Im Herbst ist es soweit: Es ist Erntezeit und Zeit, sich Vorräte für den Winter anzulegen. Das denken sich auch fünf kleine Feldmäuse. Vier von ihnen arbeiten tüchtig und bringen Körner, Nüsse, Weizen und Stroh in den Mäusebau. Nur Frederick scheint untätig herumzusitzen. Er erklärt seiner Familie, dass er andere Dinge für den Winter sammle, nämlich Sonnenstrahlen, Farben und Wörter. Wozu diese im langen, grauen und kalten Winter nützlich sein werden, merken die Mäuse, als ihre essbaren Vorräte zur Neige gehen. Frederick schafft es, alle froh zu machen.

 „Die erste ist die Frühlingsmaus, die läßt den Regen lachen.
Als Maler hat die Sommermaus die Blumen bunt zu machen.
Die Herbstmaus schickt mit Nuß und Weizen schöne Grüße.
Pantoffeln braucht die Wintermaus für ihre kalten Füße.
Frühling, Sommer, Herbst und Winter sind vier Jahreszeiten.
Keine weniger und keine mehr. Vier verschiedene Fröhlichkeiten.“ (S. 29)

Dieser Kinderbuchklassiker von 1967 ist zauberhaft vom Autor illustriert. Süße Mäuse mit großen Ohren blicken uns an. Wusstet Ihr, dass Mäuse sogar erröten können? In diesem Buch ist das jedenfalls so. Die Botschaft ist wunderschön: Jeder trägt seinen individuellen Teil zum Ganzen bei. Und die Maus lebt nicht vom Brot (oder Korn) allein.

Herrlich seelenwärmend an kalten Wintertagen. Sollte in keinem Bücherregal fehlen.

Frederick, Leo Lionni, Deutsch von Günter Bruno Fuchs, Gertraud Middelhauve Verlag, München 1967, 32 Seiten

Zusatz-Info:
Das Buch ist 2019 neu aufgelegt worden vom Beltz & Gelberg-Verlag und kostet 6,50 EUR.

Sonntag, 22. September 2019

Alle meine Wünsche, Grégoire Delacourt

Jocelyne ist eine ganz normale Frau von Ende vierzig. Sie lebt mit ihrem Mann in einer französischen Kleinstadt und betreibt einen Kurzwarenladen. Die beiden Kinder sind schon aus dem Haus. Der Laden geht eher mäßig, aber Jocelyne ist zufrieden. Sie liebt ihren Mann, mit dem sie schon durch einige Täler gegangen ist. Sie machen zusammen Urlaub, bescheiden auf einem Campingplatz, aber für Jocelyne ist das alles genug.

Von Freundinnen lässt sich Jocelyne dazu überreden einen Lottoschein auszufüllen. Die beiden Freundinnen schwärmen jede Woche davon, was sie alles machen würden, wenn sie den ganz großen Gewinn bekämen. So viel Geld, wie man nur will! Nie mehr arbeiten müssen! Dann geschieht das Unwahrscheinliche: Jocelyne gewinnt den großen Millionen-Jackpot!

Jocelyne überlegt: Was soll ich mit all dem Geld machen? Was würde sich dadurch in meinem Leben verändern? Sie macht Listen vom Notwendigen und vom Luxuriösen und stellt fest, dass sie eigentlich möchte, dass ihr Leben bleibt wie es ist. Soll sie ihrem Mann seine Wünsche erfüllen? Die tolle Uhr und das große Auto für ihn kaufen? Oder den Kindern Geld geben? Jocelyne kann sich nicht entscheiden und erzählt erstmal niemandem von ihrem Gewinn. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse.

„Ein Taxi kam vorbei, meine Hand zuckte; ich sah mich es heranwinken, einsteigen. Ich hörte mich sagen: Weit, so weit wie möglich. Ich sah das Taxi mit mir auf der Rückbank losfahren, sah mich, ohne mich nach mir umzudrehen, ohne mich von mir zu verabschieden, ohne mir zuzuwinken, ohne jedes Bedauern; ich, die fortgeht und verschwindet, ohne Spuren zu hinterlassen.
Das ist sieben Jahre her.
Aber ich bin nach Hause gegangen.“ (S. 31)

Dieses dünne Buch liest sich wunderbar. Jocelyne hat einen herzerwärmenden Ton, ihre Zufriedenheit ist ansteckend. Man kann mit ihr überlegen, was man selbst mit einem Millionengewinn anfangen würde. Eine Wunschliste, um alle Idee zu notieren, ist dem Buch beigefügt. Der Leser erfährt etwas über die Dinge, die Jocelyne in ihrem Leben erlebt hat, schlimme Dinge, wie sie zuweilen jedem von uns passieren. Jocelyne schafft es aber gut, mit diesen Erlebnissen umzugehen. Sie lebt glückliche Beziehungen, macht aus kleinen Dingen das Beste und das macht sie froh. Das Beste ist, dass sie das Gute zu schätzen weiß. Ist der Lottogewinn eher Segen oder Fluch? Eine große Entwicklung beginnt.

Ein schönes Buch über Möglichkeiten, Prioritäten und Zufriedenheit. Leicht und frisch für zwischendurch.

Alle meine Wünsche, Grégoire Delacourt, aus dem Französischen von Claudia Steinitz, Atlantik im Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2014, 160 Seiten, 15,00 EUR

Just Mary, Paola Morpheus

Mit einem Comic macht Maria, die Mutter Gottes, dem lieben Gott und der katholischen Kirche quasi die Hölle heiß. Sie legt den Finger in die...