Sonntag, 10. Dezember 2023

Alice im Irrenland, Evald Flisar

Wisst ihr, was Alice gemacht hat, als sie aus dem Wunderland zurück war? Sie sprang ihrem Onkel Springer hinterher ins Wasser und tauchte mit ihm in einem sehr seltsamen Land wieder auf. Eigentlich wollten sie nach Trinidad und Tabago, aber bald stellte sich heraus, dass sie in Potterunien gelandet waren. Dort herrschten seltsame Sitten, so dass Alice glaubte, sie sei im Irrenland. Aber – sind wir den Potteruniern wirklich so unähnlich? Oder möchten wir das nur glauben…?

Die Einwohner von Potterunien sind alle seltsam grau im Gesicht. Kein Wunder, denn um sie herum ist alles aus Potti, einem grauen Ton. Der ist furchtbar zerbrechlich. Das ist gut und schlecht zugleich. Gut ist, dass Potti direkt im Land ausgebaggert werden kann. Nun ja, Potterunien ist eine kleine Insel, vollgebaut und besiedelt, so dass der Ton direkt unter der Stadt herausgeholt und die Insel quasi ausgehöhlt werden muss. Sie muss daher immer stärker mit Pfeilern von unten abgestützt werden, damit sie nicht einstürzt und das Meereswasser hereinflutet. Das Gute ist aber, dass die Dinge aus Potti so schnell zerbrechen, dass immer genug Material für Stützpfeiler vorhanden ist. Es ist so nötig Dinge zu zerbrechen, dass man dafür sogar belohnt wird. Und was macht man, wenn einem dauern die Dinge zerbrechen?

„In einer Konsumgesellschaft muss man konsumieren, konsumieren, konsumieren“, erklärte er ziemlich gelehrt, wie es seine Gewohnheit war. „Je mehr konsumiert wird, desto mehr muss produziert werden, desto mehr Menschen haben Arbeit, desto mehr Menschen werden bezahlt, um überleben zu können, und mehr Menschen können mehr konsumieren.“ (S. 108)

Alice und Onkel Springer machen bald Bekanntschaft mit den Politikern des Landes. Der Präsident ist ein alter Mann, der von Untergebenen gestützt werden muss. Intrigen sind an der Tagesordnung. Im Wahlkampf müssen Alice und der Onkel herhalten. Neue Ideen und Zukunftsversprechen müssen her, die allerdings niemand auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen können soll. Denn dass Potterunien keine Zukunft mehr hat, ist eigentlich klar. Da heißt es kurzfristig denken, um gewählt zu werden. Das kommt euch bekannt vor? Nein, sowas gibt es wirklich nur im Irrenland!

Diese dystopische Satire mit einigen farbigen Illustrationen ist schon für Jugendliche geeignet, aber auch für Erwachsene sehr erhellend. Ich habe das Buch auf der Frankfurter Buchmesse beim Gastland Slowenien entdeckt. Der Schreibstil ist ungewöhnlich. Der mir unbekannte Autor (Jahrgang 1945) ist in Slowenien offenbar sehr bekannt für seine Romane, Kurzgeschichten und Theaterstücke und mehrfach preisgekrönt.  

Eine lustige Satire, die einem die eigene Gier in den Adern gefrieren lässt. Eine lohnende Entdeckung aus Slowenien!

Alice im Irrenland, Evald Flisar, aus dem Slowenischen übersetzt von Ann Catrin Bolton, Illustrationen von Hana Tintor, Hermagoras Verlag, Klagenfurth, 2023, 230 Seiten, 26,50 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)

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